Magie ist nicht ein Funktionieren im technischen Sinne, es ist ein Aufsteigenlassen im allergleichsten Moment der Imagination des Magickers. Nicht Ursache und Wirkung, sondern Erhebung aus der Kraft des imaginierenden Geistes, das ist Magie. Was aber ist Imagination anderes, als auch die Ursprungskraft des Künstlers? Aus seinem Geist entspringt die Kunst. Die als wahre Kunst empfundene Kunst »wirkt« deshalb auch nicht, sie setzt vielmehr unter magischen Bann, denn mit ihr entspringt stets als untrennbarer Begleiter die Magie dem Geiste. Daher ist ein Hexenbann beispielsweise stets auch Kunst, wiewohl ein gelungenes Gemälde oder eine ergreifende Musik einzig durch Magie bezaubert. Unmittelbar schön heißt denn auch nichts anderes, als unmittelbar verbunden sein mit dem Geist und dem Schaffen des Künstlers durch das Werk und dadurch unmittelbar verbunden sein mit der Kunst selbst und ihrem Zauber, den dieses Unmittelbare in uns hervorbringt; jener Zauber, welcher besteht über alle Distanz von Zeiten und Orten hinweg, und der, wenn wir wahrhaft künstlerisch empfinden, jedesmal aufs neue aufsteigt, sich erhebt, da wir einem gelungenen Werk begegnen, einem Werk andauernder Imagination.
So ist es denn auch umgekehrt: soll in der Magie ein wahres Werk den Meister loben, ist strengste Imagination nötig, doch nicht so, daß bezwungen wird, wie es in der Praxis des Schwarzen Meisters getan wird, sondern indem man als Lichter Magicker das konzentriert aufsteigen läßt, was vonnöten ist. Schon Kant sagt uns hierzu: »Durch das Genie gibt die Natur der Kunst die Regel«.
Mary Severine Binder, Art and Magick - Eine Abhandlung über die innige Beziehung zwischen Kunst und Magie (Theoretisch-okkultistisches Werk, 1922)
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