Kai schrieb am 28.2. 2002 um 21:30:08 Uhr über »Beamtenstaat«
> Wenn jemand über unseren Beamtenstaat meckert, sollte er sich mal überlegen, was er statt dessen haben will.
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> Einen Angestelltenstaat? Oder möchte er vielleicht wieder einen Arbeiter- (und Bauern-) Staat?
Es ist den meisten Leuten heute gar nicht mehr bewusst, aber es gab und gibt Alternativen zum Beamtenstaat.
Ich selbst bin durch einige kürzliche Lektüre auf zwei neuzeitliche Beispiele aufmerksam geworden. Das nach-calvinistische Genf und die unabhängige Republik Venedig.
In beiden Staaten gab es eine kleine Gruppe von Patriziern (eigentlich Stadtadel, im Gegensatz zum Landadel), welche die Macht im Staate inne hatte. Aber es waren eben keine Beamten. Viele Posten wurden regelmäßig durch Losverfahren oder »Wahl« (oder eine mehr oder weniger gelungene Kombination aus beidem, in Frankfurt gab es z. B. eine Auslosung mit Kugeln soweit ich weiß) vergeben. Das bedeutet, niemand hat eine Karriere gemacht, weil er »in der Partei« war oder sich als Verwaltungsfachmann hochgearbeitet hat, sondern man wurde von einer Gruppe von Peers nach einem festgesetzten Verfahren auf Zeit eingearbeitet.
Vergleichbar ist das vielleicht mit Kommunalvertretungen oder Betriebsräten in heutiger Zeit. Das Problem ist natürlich die Einarbeitung.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass es eine dynamisch-evolutionäre Verschiebung der Macht gab. Der »große Rat« sowohl von Venedig als auch von Genf haben im Laufe der Zeit an macht eingebüßt, dafür erhielt andere, eigentlich nur geratene Gremien immer mehr Kontrolle (die Berater der Syndicuse in Genf beispielweise) und es wurden immer neue Institutionen geschaffen, beispielsweise die Staatsinquisition in Venedig.
Hierbei wurden beide Staaten natürlich stark durch ihre außenpolitische Position geprägt.
Das alte Athen soll ein ähnliches System unterhalten haben. Die Posten des Hafenaufsehers z. B. wurden jährlich ausgelost, so dass regelmäßig der Vorgänger seinen Nachfolger noch einarbeiten musste.
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