Wer will es schon schön haben?
Twister (Bettina Winsemann) 28.09.2010
Gärtchen, Pflanzen und das neue ALG II
Auch bei den Regelsätzen für Erwachsene wurde hin- und hergerechnet und neu entschieden, was zum Existenzminimum gehört oder nicht. Und so ein Ergebnis herbeigeführt, das sich an interessanter Stelle wiederfindet.
Zu Teil 1: Ende des Rätselratens
Bei der neuen ALG-II-Berechnung fand die Bildung sowohl bei den Erwachsenen- als auch den Kinderregelsätzen nur bedingt Eingang. Mit Beträgen zwischen 98 Cent und 1,50 Euro wurde dien notwendigen Aufwendungen dafür beziffert, den Rest verwarf man mit Blick auf das Bildungs- und Teilhabepaket als nicht für den Regelsatz relevant. Ebenso erging es dem von vielen ALG II-Befürwortern als Argument für Selbstversorgung vorgebrachten Garten sowie den dazugehörigen Ausstattungsgegenständen:
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Im System der Mindestsicherung ist die Unterhaltung eines Gartens als nicht existenzsichernd zu bewerten. Deswegen werden in der Abteilung 05 die Position »Nicht motorbetriebene Gartengeräte« nicht als regelbedarfsrelevant angesehen, die Position »Motorbetriebene Werkzeuge und Ausstattungsgegenstände für Haus und Garten« werden um die Ausgaben für Gartengeräte bereinigt. Bei dieser Position mit regelbedarfsrelevanten und nicht regelbedarfsrelevanten Gütern wurde der Anteil der regelbedarfsrelevanten Güter durch den Rückgriff auf das Wägungsschema der allgemeinen Preisstatistik festgelegt.
Gleichermaßen wurden auch Reparaturen für Werkzeuge als unnötig verworfen - mit einer Begründung, die angesichts der Tatsache, dass eine Vielzahl von ALG II-Empfängern nach langer Erwerbstätigkeit sehr schnell in den ALG-II-Bezug rutscht, wenig plausibel erscheint:
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Die Position »Fremde Reparaturen an Handwerkzeugen« wird im Unterschied zur Sonderauswertung EVS 2003 nicht mehr als existenzsichernd berücksichtigt. Reparaturen sind nur bei teuren Werkzeugen wirtschaftlich vertretbar. Besitz und Nutzung solcher Werkzeuge sind jedoch in der Durchschnittsbetrachtung bei Leistungsberechtigten nach dem Zweiten und Zwölften Buch nicht zu unterstellen.
Statt hier einwandfreie Daten und Zahlen anzuführen, wird erneut, wie im bereits vom BverfG gerügten Berechnungsmodell der Regelsätze, mit Unterstellungen und Annahmen gearbeitet. Die obige Annahme ist weder auf Fakten noch auf plausible Ansichten basierend - sie wird erneut »ins Blaue hinein geschätzt«, denn warum sollten Menschen, die lediglich über Transferleistungen verfügen, nicht auch teure Werkzeuge besitzen? Gerade auch jene, die nach langer Erwerbstätigkeit bei ALG II landen, dürften neben Wohnung, Einrichtung usw. doch auch über Werkzeuge etc. verfügen, deren Reparatur sich als lohnend erweisen kann.
Vielen Dank für die Blumen
Ebenfalls als nicht existenzsichernd betrachtet wurden Schnittblumen und Zimmerpflanzen. Auch die Verpflegung außer Haus wurde gekappt, wobei man hier elegant gegenrechnet:
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Die Verbrauchsausgaben für eine Mahlzeit bei auswärtiger Verpflegung liegen über denen, die hierfür bei eigener Beschaffung entstehen. Allerdings ersetzt die auswärtige Verpflegung die heimische Verpflegung. Wenn also eine auswärtige Verpflegung als nicht existenzsichernd anzusehen ist und die Verbrauchsausgaben hierfür nicht als regelbedarfsrelevant anzusehen sind, muss ein Ausgleich geschaffen werden, da sich der häusliche Verpflegungsbedarf (Nahrungsmittel und Getränke) und damit auch der häusliche Verpflegungsaufwand, wie er sich in den Verbrauchsausgaben der Abteilung 01 widerspiegelt, erhöht. Deshalb ist es erforderlich, den Warenwert der beim Besuch von Restaurants, Gaststätten etc. konsumierten Nahrungsmittel und Getränke als regelbedarfsrelevant zu berücksichtigen.
Obgleich das BverfG gerügt hatte, dass der Bedarf der Kinder nicht explizit berechnet wurde, hat man diesmal erneut auch Erwachsene und Kinder zusammen erfasst. Die Begründung hierfür lautet lapidar:
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Eine Aufteilung der Verbrauchsausgaben auf das Kind und die Erwachsenen durch die in der EVS befragten Haushalte ist aus folgenden Gründen nicht möglich:
Es würde einen erheblichen Zusatzaufwand für die Befragten erfordern, wenn sie für jeden (Groß-) Einkauf eine solche Aufteilung vornehmen müssten.
Die Aufteilung wäre stets subjektiv, da konkrete und objektive Vorgaben seitens des Statistischen Bundesamtes nicht gemacht werden könnten. Die Aufteilung würde deshalb nach individuellen Einschätzungen erfolgen, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse in Frage stellen würde.
Angesichts der Anforderungen und des Aufwands einer Aufteilung auf Familienmitglieder müsste damit gerechnet werden, dass die befragten Haushalte überfordert würden. Würde eine solche Überforderung auch subjektiv empfunden, könnte dies zu einer abnehmenden Bereitschaft der Teilnehmer kommen, bis zum Ende des Erhebungszeitraums eine möglichst exakte Aufteilung vorzunehmen.
Erhöhte Anforderungen an das Führen der Haushaltsbücher können zu einer sinkenden Bereitschaft zur freiwilligen Teilnahme an der EVS führen. Dies gilt es im Interesse der Aufrechterhaltung der Qualität der Ergebnisse einer EVS zu vermeiden.
Einfach gesagt: es war zu umständlich, der Aufforderung des BverfG nachzukommen, stattdessen wurde erneut zusammen erfasst und dann gemittelt, anteilmäßig verteilt usw. Bedenkt man die Anzahl der befragten/erfassten Haushalte, so stellt sich die Frage, wieso angesichts der sowieso mannigfaltigen Ausgabepositionen, die einzeln dargestellt wurden, eine solche Auseinanderdividierung der Ausgaben die Haushalte überfordern sollte und worauf diese Ansicht sich stützt.
Auf dem Weg zu den 364 Euro
Gerade beim Thema Garten und Pflanzen/Blumen scheint es, als würde es darum gehen, sich mehr und mehr dem physischen Existenzminimum anzunähern, nicht aber dem soziokulturellen Existenzminimum, wie es das BverfG fordert. Die Annahme, dass ALG-II-Empfänger weder über teure Werkzeuge noch über hochwertige Kleidung, für die eine chemische Reinigung erforderlich ist, verfügen bzw. diese lediglich zu Vorstellungsgesprächen anziehen, zusammen mit der Annahme, dass die alkoholischen Getränke zu ca. 90% aus niedrigpreisigem Bier oder ähnlichem bestehen, betont einmal mehr die Ansicht, dass es sich bei ALG II-Empfängern um trinkende, einfach bis schlampig angezogene Menschen handelt.
Dass man sich bei der Diskussion um die Regelsätze bis zuletzt bedeckt hielt und weder die Wohlfahrtsverbände noch die Erwerbslosenverbände etc. mit einband, sondern stattdessen eine Mauer der Geheimhaltung aufbaute, während zeitgleich immer wieder das Bildungspaket sowie der geplante »Bildungschip« von Frau von der Leyen medial ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurden, lässt viele aufhorchen. Ebenso wie die Tatsache, dass die Referenzgruppe sich stark verändert hat und somit nicht mehr dem entspricht, was das BverfG als passende Referenzgruppe ansah.
Dass sich die Zahl 364 (Regelsatzhöhe für Alleinstehende, ebenso wie die Zahl 328 (Regelsatz für eine Person, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit einer ebenfalls ALG II erhaltenden Person lebt) bereis in einem Bericht des Bundesministeriums für Finanzen über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2010 als Regelsatzangabe findet, dürfte die Kritiker nicht wirklich beruhigen. Zwar ergibt sich bei Ehepaaren eine Differenz von einem Euro im Vergleich zu dem im Bericht in Ansatz gebrachten Regelsatzniveau in Höhe von 327,50 Euro pro Person, dennoch stellt sich die Frage, ob hier einmal öfter nicht etwa die Berechnung am Anfang stand, sondern lediglich dazu diente, das entsprechende Ergebnis zu liefern.
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