Theaterstück
Bewertung: 2 Punkt(e)Mehr als 95 % der Theaterstücke aller Zeiten - wenn sie überhaupt erhalten geblieben sind - fristen eine Existenz als Lesedramen, viele davon sind auch nie anders gedacht gewesen. Dieses kulturbürgerliche Aufführungsverständnis zur Hegung des ihnen vorgeschriebenen Wertekanons in allen Ehren, und es sollte auch immer Theater und Inszenierungen geben, in die man auch mit einem 12jährigen gehen kann, ohne besorgt zu sein, dass Wallenstein nur mit einem Plug-in-String bekleidet ins Lager springt, wo dann zu Krautrock-Klängen eine Jack-off-Party anhebt. Nein, nein, man sollte schon die Chance bekommen, fernab des Regietheaters die sauberen Druckbögen ins Leben gebracht zu sehen, aber diese ganze Werktreuedebatte wird doch bei Stücken wie FaustII oder Grabbes Hannibal völlig ad absurdum geführt, man kann die Leute ja nicht mehr mit einem Pardelfell über die Alpen schicken. Und da sollte ein Theaterregisseur ruhig vorgehen wie ein Komponist und Dirigent, der die Werke eines Kollegen mit mehr oder weniger Respekt, aber immer sachkundig und auf ein Ziel hin bearbeitet, Stimmen hinzufügt, Kadenzen ausschreibt, das Instrumentarium zwölftönerhaft vergnurpselt oder ins Spätromantische aufbläst, Zwischenaktmusiken einschiebt oder Wiederholungen streicht, kurz, die Musik davor bewahrt, zum allbegleitenden Schlager herabzusinken, sondern ihr ganz besonderes Gesicht herauszustreicht, das in seiner Einzigartigkeit zugleich archetypisches Ideal und Zukunftsentwurf einschließen kann und weder Konserve noch Neuerschaffung der Welt in 90 Minuten ist.