Kallipygos
Bewertung: 6 Punkt(e)Heute ist passiert, was ich immer befürchtet habe. Als ich um fünf nach halb sieben nackt an den Innenbriefkasten unserer Haustür gegangen war, um die Zeitungen herauszuholen, geriet ich auf dem Rückweg ins Blickfeld unseres Nachbarn, der ähnlich wie ich (und mit seinen 78 Jahren noch berechtigter) der Ansicht ist, das Leben sei zu kurz, um es mit langem Schlafen zu vergeuden. Ich hatte zwar seine Wohnungstür gehört, jedoch irrtümlich angenommen, sie sei gerade erst geöffnet worden, was mir einen Zeitvorsprung gesichert hätte. Vielmehr jedoch befand er sich offenbar bereits auf der Treppe und die Tür hatte sich hinter ihm geschlossen — mit Sicherheit kein Problem für ihn, der um diese Uhrzeit bereits gestiefelt und gespornt, oftmals gar in einen Anzug gekleidet und mit Sicherheit nie ohne Hausschlüssel ist. Als ich meine Fehlkalkulation bemerkte, war es bereits zu spät, eine letzte Tempobeschleunigung verhinderte zumindest, ihm mein Vornerum zu präsentieren, meine fraglos kalkweißen Hinterbacken, welche nach all den Jahren des Draufherumsitzen dennoch der vielleicht attraktivste, zumindest jedoch ebenmäßigste Teil meines Körpers sind, wie mich hinterher ein Blick in den Spiegel überzeugte, mein Hintenrum also hat er gewiß gesehen. Aber selbst das ist mir nicht gänzlich peinlich, zumal ich finde, daß man zu so unchristlichen Zeiten durchaus nackt im eigenen Hause wandeln darf (sich allerdings nicht dabei erwischen lassen sollte), unangenehm war mir nur, daß er bei aufmerksamer Beobachtung sicherlich bemerkt haben dürfte, daß ich ausgerechnet in dieser Nacht aufgrund kalter Füße beim Zubettgehen die zudem beigefarbenen Socken angelassen hatte. Und ich weiß nicht, welcher Gedanke mir unangenehmer ist: Für einen Menschen gehalten zu werden, der nackt, aber in Socken schläft, oder für einen, der die Socken vor der Unterhose anzieht. Für die Süddeutsche Zeitung jedenfalls hat sich diese potentielle Imageschädigung wie eigentlich aller Tage nicht gelohnt.