Damenkränzchen
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Heute,heute,da saß ich bei Kamps und hatte eine üppige Zeitmenge totzuschlagen,Bus zu früh,Termin zu spät,und ungroßkonzernigere Kaffetrinkoptionen außer Sichtweite und las in der Titanic und rauchte Zigaretten und trank meinen Kaffee ausnahmsweise mit Zucker und Plastik-Döschen-Alpin-Aufdruck-Kondensmilch.Niemand war dort,ein kettenrauchender Rentner,zwei 15jährigeMädels,die anscheinend blaumachten,die müßigen Bediensteten im Viersener Alltagstratsch versunken,da traten sie ein und ich war hammerschlags-entzückt:Ca.fünf,vielleicht auch sieben behäbige Damen der Alterstufe 50-90,allesamt mit krauser Friseurlocke und dem saisonablen Wollpulli mit Goldemblem und ebensolcher Halskette;mehrere auch bebrillt,also kein grundsätzlicher Grund zur hell-jauchzenden freude,aber dennoch,ihr Charme...die Dame mit den meisten Falten begrüßte auch die ältliche Bedienstete mit einem verheißungsvollen »Hallo,der Club der Ungeküssten«,worauf ich am allerliebsten sofort auf sie zugestürmt wäre,um ihr einen dicken Kuss auf die zerknitterte Falte zu geben,was mir dann aber berechnenderweise doch zu aufmerksamkeits-heischend und -erregend war... und trotzdem.Daß die Ehemänner auch dabei waren,merkte ich erst kurz darauf(sie saßen in der anderen Ecke,ganz allerliebst)und aufgrund eines unüberhörbaren »Theo,auchen Kakao?«-»Ja,abba nua mit Sahne«,und so blieb ich eine Viertelstunde länger,lesen vergessen,nur gucken,und beneidete diese Damen(von daher auch Damenkränzchen und nicht Kaffee und es waren wirklich Damen,aber hallo!)um diese unglaubliche Einrichtung in ihrem Leben,in dem nach nichts höherem gestrebt wird,als der täglichen Runde,in der man über dies und das spricht und anzügliche Witze reißt,sich mit den Männern abgefunden,erneut angefreundet und arrangiert hat und dabei so unsagbar modal,mobil und mondän auf arme kleine Noch-Jugendliche wirkt,die von ihrem Altertum befürchten,in einer verranzten Kneipe am Tresen zu hängen,den Barkeeper mit der lebensgeschichte zu nerven und ab 46 auch noch bedauern,immer allein nach Hause gehen zu müssen,zu bewundern,und in der Tat,Aha-erlebnis schlechthin.Ein Hoch auf diese beeindruckenden Damen im Rund,die ihre Ländlichkeit ganz daheim und ganz allein geschafft haben,abzustreifen und souveräner als jeder Marcel Duchamp zu werden.