Plastikwindeln, Sauna und Computer ...
Hitzschlag legt die Spermien lahm
Medical Tribune Kongressbericht
FRANKFURT - Sind Pampers, sexy Slips, Saunagänge und Sitzberufe schuld an unerfülltem
Kinderwunsch? Hitze am Hoden schmälert bekanntlich die Fruchtbarkeit. Und neben
Varikozele und Kryptorchismus sorgen auch Lifestyle-Faktoren für unerwünschte
Überwärmung am Gemächt ...
Der Hoden hat es gerne kühl, Temperaturen etwas über 33 °C sind ihm gerade recht. Dafür sorgt
die Natur durch Fehlen einer isolierenden Fettschicht, viele Schweißzellen sowie Muskeln, die
Skrotum und Hoden heben und senken. Diverse Faktoren modernen westlichen Lebens können
nun das gemütlich-kühle Klima um die Zeugungsorgane empfindlich stören.
Es beginnt bereits direkt nach der Geburt mit dem Pampers-Effekt. In der auslaufdichten
Plastikverpackung wird es mollig warm, wie eine Studie an 48 Wickelkindern zwischen 0 und 55
Monaten ergab. Skrotal angebrachte Temperaturfühler registrierten signifikante
Temperaturanstiege von 0,6 bis 1,1 °C in Plastikwindeln, nicht aber in Stoffwindeln. Welche
klinische Relevanz dieser Befund hat, ist aber noch unklar, berichtete Dr. Thomas
Elshorst-Schmidt, Zentrum für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinik Frankfurt, auf
dem Reproduktionsmedizinischen Seminar »Andrologie aktuell 2001«.
Was die Frage »Boxershorts oder Slip« angeht, kamen klinische Untersuchungen zu
unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Studie an 97 Männern konnte weder bezüglich der
Temperatur noch der Samenqualität Unterschiede zwischen den Trägern verschiedener
Unterhosen feststellen. Dagegen ergab eine Crossover-Studie über ein Jahr, dass Liebhaber
luftiger Boxershorts letztlich mit klar besserer Spermienzahl und -motilität aufwarteten. Ein
Wermutstropfen schmälert allerdings die Aussagekraft dieser Untersuchung, erklärte der Referent
dem schmunzelnden Auditorium: Vermutlich auf Grund des Studiendesigns - alle zwei Wochen
war ein Spermiogramm fällig - kam es zu einer hohen Drop-out-Rate.
Auch Wellness gehört zum heutigen Lebensstil, so gönnen sich viele Menschen regelmäßige
Saunabesuche. In der Schwitzkabine muss sich der Hoden auf bis zu 37 °C wärmen lassen. Ob
das ohne Folgen bleibt? Dr. Elshorst-Schmidt berichtete über eine Untersuchung, in der die
männlichen Probanden zwei Wochen lang 30 Minuten täglich dem finnischen Vergnügen frönten.
Beobachtet wurde eine Motilitätsstörung der Samenzellen, die aber nach einer Woche voll
reversibel war.
Ein Kollege aus dem Auditorium konnte eine finnische Studie »beisteuern«, in der Männer über
einen längeren Zeitraum (sechs Wochen) zweimal wöchentlich zum Schwitzen geschickt wurden.
Hier, so hieß es, zeigten sich deutliche Einbußen der Spermaqualität. Wahrscheinlich werden
Enzyme, die für die Ausreifung der Spermien wichtig sind, durch die Überwärmung in ihrer
Funktion eingeschränkt und der Kalziumstoffwechsel (wichtig für die Ausbildung der Flagellen)
gestört, erläuterte der Referent.
Nicht zuletzt attackieren natürlich die leidigen Sitzberufe das kühle Klima unter der Gürtellinie.
Ob Computerfreak, Finanzbeamter oder Berufskraftfahrer: Diese Männer sollten sich Gedanken
um Gegenmaßnahmen machen. Messungen der Skrotaltemperatur an 60 Probanden mit sitzender
Berufstätigkeit ergaben mit 34,8 °C einen signifikant erhöhten Durchschnittswert. Lagen über 75
% der gemessenen Werte über 35 °C, kam es zu einer deutlich (um 60 %) verminderten
Spermienzahl.
Was lernen wir nun aus all diesen Befunden? Einfach Kühlakkus in die Hose, und schon kommt
der Kindersegen? So möchte der Referent seine Ausführungen nicht verstanden wissen.
"Schließlich ist nicht jeder Infertilitätspatient als Kind zu heiß gewickelt worden oder Busfahrer
von Beruf!" So spielen Lifestyle-Faktoren für Infertilitätspatienten mit Azoo-, schwerer
Kryptozoo- oder Normozoospermie wahrscheinlich keine Rolle.
Bei idiopathischer Oligoasthenoteratozoospermie (OAT) bilden aber Kühlmaßnahmen - bei
Vorliegen entsprechender Risiken - wohl einen nützlichen Therapie-Baustein. Empfohlen werden:
Kalte Genitalwaschungen
Schlafen ohne Unterwäsche
Tragen weiter Unterwäsche
Vermeiden langer sitzender Tätigkeiten
Vermeiden unnötiger Hitzeexposition.
Auch nächtliches Hodenkühlen per Luftstrom hat nachgewiesene Wirkung. Wie eine Gießener
Arbeitsgruppe an 25 OAT-Patienten zeigte, besserte sich deren Spermiogramm, wenn sie sich
nachts per Plastikschläuchlein frische Luft an den Hodensack blasen ließen.
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