Bis auf den heutigen Tag muß die Literatur des Barocks gegen das Schwulst–Verdikt nachfolgender Philologengenerationen ankämpfen. Die erotische Lyrik Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus, die enzyklopädischen Romane Anton Ulrichs von Braunschweig, die bluttriefenden emotionsgeladenen Historiendramen Daniel Caspar von Lohensteins, die Sprachlabore der Pegnitzschäfer, alles wurde in den Orkus der Archive gejagt. Überlebt haben im Bewußtsein des Durchschnittslesers eigentlich nur der in der Tat fast alles überragende Simplicissimus, eine Handvoll Logau'scher Sinnsprüche, die überspannt frömmelnde Jesusminne einer Reihe von Kirchenliedtexten und natürlich die gereimten Friedhofsmeditationen eines Andreas Gryphius. Dabei atmet vieles dieser Literatur einen Geist des Aufbruchs und der Formsuche, der auch heute, da eine Vielzahl der damaligen Problemstellungen im neuen Gewand auftaucht, inspirierend wirken kann. Neue Weltordnungen, Sprachwandel, dynamisierte Vertriebswege und das durch alle Zeiten regierende Zwillingspaar Eros und Thanatos sind bis heute Luftströmungen, auf denen sich der Pegasus zum Parnass zu erheben vermag, hätte ich bald gesagt, wenn das nicht in der Tat ein wenig schwülstig klänge.
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