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Debilski schrieb am 21.4. 2002 um 18:37:28 Uhr über

faden

Der Faden

Sie sahen vor sich auf den Flur
Dort an der Wand hing eine Schnur
Ein Faden: Rot, von feinstem Garn
Den hat schon schreckliches erfahr'n

Es war dereinst zu Kaisers Zeiten
Der Frauen zwei, die taten streiten
Wer einen Schönheitspreis gewinnen sollt'
Dazu ein Ring aus purem Gold

Man ging zum Schneider in die Stadt
Und fragt, ob er zwei Kleidchen hat
Für jede eins, für gleiche Chancen
Um auf dem Marktplatz vorzutanzen

Doch wie es nun das Schicksal wollt'
Beim Schneider war man ohn' Erfolg
Er hatte nämlich nur ein Kleid
Noch eins zu nähen - keine Zeit.

So nahm man dieses letzte Stück
Ein Faden aber blieb zurück
Ein Wettkampf war dem Zwirn zuwider
Drum fiel er schnell zum Boden nieder

Dort auf den Steinen lag er dann
Alleine, bis ein Hund herkam
Der wälzte sich im Staub der Gassen
Allein auch er! Er ward verlassen

Nun ging es über Stock und Stein
Tagein, tagaus; tagaus, tagein.
Man lief entlang an Fluss und Hang
Und immer weiter: jahrelang

Bis eines Tages tief im Walde
Ein Schuss vom Baume herab schallte
Es war ein kühner Jägersmann
Der Hund war tot: Der Mann gewann

Man war im Krieg, man hatte hunger
Man hatte nichts, nur immer Kummer
So war es dann ja auch verständlich:
Man schenkt sich nichts, man nimmt es sich

Der Hund ergab ein köstlich' Mahl
Und für den Winter einen Schal
Dazu ein Schuh, doch einen nur
Des Jägers Holzbein blieb »natur«

Der Kopf des Hunds blieb als Trophäe
Immer in des Jägers Nähe
Derweil der Garn im Ohr des Hunds
Um Abzuwarten bis zum Schluss

Der Kaiser ging und andre kamen
Ins Hause gingen ein die Damen
Bis eine dann beim saubermachen
Den roten Faden tat erhaschen

Der jüngste Sohn bekam ein Strickhemd
Rot war's, damit man ihn von fern erkennt
Noch lange sollte man ihn nennen:
»Der rote Mörder - Er soll brennen«

Denn brav zu leben lag ihm nicht
Nahm eine Maske vor's Gesicht
Und mit dem roten Hemdchen fein
Stach er auch reiche Frauen ein

Und Zwanzig Jahre später
Fasste man den Übeltäter
Brachte ihn vor einen Richter:
»Gefangen bist du und sonst nichts mehr«

Das Jäckchen würde ihm entrissen
Und in den Müllsack flugs geschmissen
Im Knast, da trägt man andre Roben
Die Farbe Rot ist dort verboten

Inzwischen reist der Faden munter
Zur Deponie, doch geht nicht unter
Legt sich oben auf den Müllturm
Ein Vogel kommt und sieht 'nen Wurm

Der Vogel fliegt und als er merkt:
Der Wurm ist keiner, macht er kehrt
Doch kommt ein Auto, groß und kräftig
Da weicht er aus, ihn schüttelt's heftig

Dabei verliert er unsern Faden
Der Wind trägt ihn in einen Laden
Die Tür war auf, die Putzfrau putzt
Schnell in den Eimer dann geplumpst

Und an den Lappen sich geheftet
Beim Fensterputzen geht's ihm prächtig
Da bleibt er hängen, an der Wand
Und hängt noch so, wie man ihn fand.


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