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Eugen Nikolaj schrieb am 12.6. 2003 um 02:35:48 Uhr über

Russlanddeutsche

Facharbeit im Fach Sozialkunde zum Thema »Aussiedler in Germersheim«

1 Einleitung

Aussiedler stellen in Germersheim ca. 10 Prozent der Bevölkerung [1] . Gerade in einer Stadt, in der
außerdem der Ausländeranteil sehr hoch ist (ca.23 Prozent [2] ), ergibt sich dadurch genügend
Zündstoff. In regelmäßigen Abständen berichten die Zeitungen über diese Bevölkerungsgruppe.
Dennoch gibt es keine Untersuchung, die sich ausschließlich mit den Aussiedlern in Germersheim
beschäftigt.

Auch diese Facharbeit vermag dieser inhomogenen Gruppe nicht gerecht zu werden; sie versucht
jedoch, einen Einblick in die bei der Integration naturgemäß auftretenden Probleme und der
Lösungsansätze zu geben.

Da sich diese Arbeit speziell mit der Stadt Germersheim beschäftigt, liegt natürlich auch keine
entsprechende Literatur vor; Grundlage sind daher vor allem Zeitungsartikel aus der örtlichen Presse
und Gespräche mit Personen, die eine Funktion bei der Integration der Aussiedler haben. Für den
allgemeineren Teil liegen ausreichende Quellen vor; Hauptthema soll indes die Lage in Germersheim
sein. Eine strikte Trennung zwischen Problemen, die für Germersheim spezifisch sind, und der
allgemeinen Situation ist allerdings nicht möglich bzw. wäre der Übersicht abträglich.

Da die meisten Aussiedler, die in den letzten Jahren nach Germersheim kamen, aus den ehemaligen
UdSSR-Staaten stammen, beschränkt sich der historische Abriß auf diese Gruppe.

1.1 Statistische Probleme

Aussiedler sind vor dem Gesetz Deutsche (vgl. Artikel 116 GG); die statistische Erfassung ist deshalb
problematisch, denn in vielen Statistiken tauchen sie überhaupt nicht gesondert auf; wenn doch, dann
im Prinzip nur für fünf Jahre. Zum Teil wurden allerdings Einwohnerstatistiken nach Geburtsorten
durchsucht und die Aussiedlerzahlen so festgelegt [3] .

Statistiken zu diesem Thema sind daher nicht unbedingt vergleichbar; bei der Angabe von genauen
Zahlenwerten ist Skepsis geboten. Über die ungefähre Anzahl von Aussiedlern in der Rheinstadt
bestehen jedoch keine Zweifel; alle im Rahmen dieser Facharbeit Befragten konnten diese bestätigen.



2 Hauptteil

2.1 Hintergrund

2.1.1 Geschichte [4]

Die Auswanderung Deutscher nach Rußland begann in großem Umfang mit einem Manifest, mit dem
Katharina II. 1763 Ausländer zur Besiedlung einlud. Umfangreiche Sonderrechte, z.B. persönliche
Freiheit der Bauern, Befreiung vom Militärdienst und von Steuern für eine begrenzte Zeit machten
dieses Angebot sehr attraktiv. Auch sicherte man den Siedlern zu, das Land jederzeit wieder verlassen
zu dürfen. Ihren Gemeinden wurde das Recht auf Selbstverwaltung zugesichert.

Die meisten deutschen Siedler stammten aus Hessen und Südwestdeutschland; Auswanderungsgründe
(Push-Faktoren) waren unter anderem Kriege, wirtschaftliche Gründe und Militär- und Frondienste.

Im Jahre 1871 wurden die meisten Privilegien der Siedler aufgehoben, ab 1874 wurden sie auch zur
Wehrpflicht herangezogen. Der Erste Weltkrieg führte zu tiefem Mißtrauen und auch ersten
Verfolgungen gegen die Deutschen.

Von 1914 bis 1926 ging die Anzahl der in Rußland lebenden Deutschen von 1,62 Mio. auf 1,23 Mio.
zurück; Gründe waren Krieg und Hungersnöte.

In den Jahren 1929/30 wurde eine größere Anzahl (mehrere Tausend, eine genaue Zahl kann nicht
genannt werden) Deutscher aus ihren Kolonien, meist nach Sibirien, deportiert.

1924 entstand die »Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen«, die 1941 wieder
aufgelöst wurde. In den Jahren des Zweiten Weltkrieges wurden erneut Deutsche nach Sibirien
deportiert, insgesamt rund 500.000 [5] . Ein großer Teil mußte Zwangsarbeit verrichten.

Bis 1955 standen die meisten Deutschen unter »Sonderkommandantur«, was ein Verbot beinhaltete,
die Region zu verlassen.

Danach wurden wieder deutsche Zeitungen und in Kasachstan sogar Deutschunterricht an Schulen
zugelassen, den allerdings nur ein Teil der Kinder besuchen konnte. Im Jahr 1964 wurden die
Deutschen formal rehabilitiert.

Bis Mitte der achtziger Jahre war eine Ausreise der Deutschen aus Rußland nur in kleinem Umfang
möglich; die meisten der in dieser Zeit nach Deutschland gekommenen Aussiedler stammt aus Polen.
Im Rahmen der politischen Öffnung Rußlands konnte ab 1987 bereits eine sehr große Anzahl
ausreisen.

Noch bis zum heutigen Tag wird von vielen Deutschstämmigen in Rußland die Wiedergründung der
»Wolgarepublik« gefordert, und tatsächlich wurden schon deutsche Landkreise gegründet; bedenkt
man jedoch, wie viele von ihnen bereits nach Deutschland gekommen sind, und wie wenig die
deutsche Sprache in der jungen Generation verbreitet ist, erscheint die unabhängige deutsche Republik
als nicht realisierbar.

2.1.2 Spezifische Probleme der Aussiedler beim Zuzug nach Deutschland

Die Probleme der Aussiedler bei der Einwanderung nach Deutschland ergeben sich aus ihrem
unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Hintergrund. Zwar fühlten sich viele unter ihnen auch
schon in den Staaten der ehemaligen UdSSR als Deutsche, doch durften sie meistenteils nicht die
deutsche Sprache sprechen.

Auch der Alltag unterschied sich von dem hiesigen. Besonders zu erwähnen ist hier die
Freizeitgestaltung, besonders der Jugendlichen. In der ehemaligen UdSSR war die Schule in weitaus
größerem Maße auch ein Freizeitzentrum; die dortigen Freizeitangebote waren kostenlos und
erforderten keine Eigeninitiative (im Gegensatz zu hiesigen Vereinen). Zusätzlich waren die
»Kulturhäuser« Zentrum staatlich organisierter Freizeit.

2.1.3 Wohnortzuweisungsgesetz [6]

Um zu vermeiden, daß sich die Lasten aufgrund des Aussiedlerzuzugs ungleichmäßig verteilen [7] ,
wurde das »Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler«
(Wohnortzuweisungsgesetz) verabschiedet.

Es legt fest, daß Aussiedlern, die auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind, ein vorläufiger
Wohnort zugewiesen werden kann; diese Zuweisung ist auf zwei Jahre begrenzt und wird aufgehoben,
wenn der Betroffene andernorts ausreichenden Wohnraum und Einkommen nachweisen kann [8] .
Das Wohnortzuweisungsgesetz schränkt somit die Freizügigkeit der Aussiedler (Artikel 11
Grundgesetz) ein; es tritt im Jahr 2000 außer Kraft.

2.1.4 Hilfen für Spätaussiedler aus Bundesmitteln [9]

Zwar verursacht der Zuzug von Spätaussiedlern eine erhebliche finanzielle Belastung der betroffenen
Gemeinden, doch wird auch ein Teil der Kosten vom Bundeshaushalt getragen; die wichtigsten sind
die »pauschalierte, bedürftigkeitsabhängige Eingliederungshilfe« und die Sprachförderung, die beide auf
sechs Monate begrenzt sind. Da dies in vielen Fällen zu kurz ist, schließen sich z.B. in Germersheim
Kurse der Volkshochschule an.

Alle Kosten für Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen werden in dieser Zeit ebenfalls
übernommen, sofern dies »für die zügige berufliche Eingliederung erforderlich ist«.

Für den schulischen Bereich ist der Garantiefonds zuständig.

Bei der Rente werden Beschäftigungszeiten aus den Herkunftsgebieten mit berücksichtigt; der
"Rentenanspruch beträgt jedoch im allgemeinen nur etwa 60% vergleichbarer, in Deutschland
erworbener Ansprüche".

Alle Spätaussiedler aus der ehemaligen UdSSR (der größte Teil also), die vor dem 1.4.1956 geboren
sind, erhalten zusätzlich eine einmalige Zahlung von 4.000 DM, bei Geburt vor dem 1.1.1946 von
6.000 DM.

Der Gesamtbetrag, der von der Bundesregierung im Jahr 1998 für die Integration zur Verfügung
gestellt werden soll, wird mit 2,5 Milliarden DM beziffert [10] .

2.2 Stadt Germersheim

2.2.1 Zeitraum und Größenordnung der Aussiedlerzuwanderung

2.2.1.1 Gesamtdeutschland

Die Anzahl der zugewanderten Aussiedler stieg in den Jahren 1987/88 sprunghaft an10. Im Jahr 1989
kamen 377.000 nach Deutschland, 1990 waren es 397.000. Als Reaktion wurden die Anforderungen
für eine Aufnahme zum 1. Juli 1990 verschärft; so müssen die Anträge vom vorherigen Wohnort aus
gestellt werden, nicht mehr erst bei der Einreise. In den Jahren 1991 und 1992 zogen nur noch
222.000 bzw. 230.000 Aussiedler zu; 1993 wurde festgelegt, daß nur noch etwa 225.000 Personen
pro Jahr aufgenommen werden sollten.

Bis zum Jahr 1997 sank die Zahl der zugezogenen Aussiedler auf 134.000; ein weiterer Rückgang
wird erwartet.

2.2.1.2




Germersheim

Die Zuwanderung von Aussiedlern in die Stadt Germersheim begann Ende der 70'er Jahre; statistisch
erfaßt werden die Gesamtzahlen wurde jedoch erst seit 1993. Der Zuzug wurde bereits vorher
registriert und lag in den Jahren 1990-1995 jeweils zwischen 150 (1990) und 439 (1994) [11] .

Im Jahr 1996 war die Anzahl der Aussiedler auf 1939 gestiegen; daß sie bis 1998 (31.3.) leicht auf
1896 zurückgegangen war, wird auf das Wohnortzuweisungsgesetz zurückgeführt [12] . Zudem wirkt
die Stadt Germersheim inzwischen eher abschreckend, da sich diverse Probleme der Stadt in der
Zwischenzeit auch in den Durchgangswohnheimen bereits herumgesprochen haben [13] .

Daß überhaupt so viele Aussiedler nach Germersheim kamen, ist auf verschiedene Faktoren
zurückzuführen; zum einen erweckte die Präsenz von Firmen wie Daimler-Benz und Nolte-Möbel den
Eindruck, es seien ausreichend Arbeitsplätze vorhanden.

Zum anderen entstand in Germersheim ein Wohngebiet (In der Kranenbleis), in dem aus Bundesmitteln
Häuser gebaut wurden, die ausschließlich für Aussiedler vorgesehen waren.

Durch Zuzug von Verwandten und Aushänge des Bauherrn wurden auch weitere, frei finanzierte
Häuser im gleichen Wohngebiet von Aussiedlern bezogen.

Rheinland-Pfalz ist auch insgesamt bevorzugtes Zielland der Spätaussiedler; so zogen in den
vergangenen Jahren 1,5 mal so viele in dieses Land wie vom Bundesverwaltungsamt zugewiesen.

Auch die Reduzierung der Präsenz des amerikanischer Militärs ließ viel Wohnraum frei werden, der
von Aussiedlern genutzt wird; eine ähnliche Situation herrscht z.B. in Kloppenburg und Lahn.

Die Zahl der Aussiedler im gesamten Landkreis wird auf ca. 3000-4000 geschätzt [14] .




2.2.2 Ghettobildung?

Neben dem erwähnten »Ghetto« In der Kranenbleis wohnen besonders viele Aussiedler in der
Josef-Kunz-Straße. In diesen Wohngebieten wohnen fast keine Angehörigen anderer
Bevölkerungsgruppen. Die größeren Wohneinheiten in der Geschwister-Scholl-Straße, der
Friedrich-Ebert-Straße, dem Römerweg und In der kleinen Au sind nach Einschätzung des
Aussiedlerbeauftragten des Landkreises zu etwa einem Drittel von Aussiedlern bewohnt.

Besonders die beiden erstgenannten Gebiete sind problematisch, da dort kaum Kommunikation mit
Einheimischen stattfinden kann.

In der Kranenbleis und In der kleinen Au liegen zudem außerhalb der geschlossenen Bebauung des
eigentlichen Stadtgebietes, was den Kontakt zu den Einheimischen nochmals erschwert.

2.2.3 Situation junger Aussiedler

Ca. 26% der in den Jahren 1994-1996 nach Deutschland zugewanderten Aussiedler waren zwischen
6 und 17 Jahren alt, 3,4% zwischen 18 und 19 Jahren und 7,3% zwischen 20 und 24 Jahren [15] .
Insgesamt sind also ca. 37% unter 25 Jahren, wodurch diese Altersgruppe besondere Bedeutung
gewinnt. Die Kinder haben i.A. keine Probleme mit der Anpassung an die hiesige Gesellschaft;
problematisch wird dieser Prozeß hauptsächlich bei den ca. 17-20jährigen.




Gerade in der Phase des Übergangs zum Erwachsenenalter ist die zusätzliche Umstellung auf eine
andere Gesellschaft besonders schwer. Viele der Jugendlichen sind nicht freiwillig nach Deutschland
gekommen und waren eher Teil der Gesellschaft ihres Herkunftslandes als die Eltern; ihre Generation
hat die geringsten, oft gar keine Deutschkenntnisse. Die Wertvorstellungen in unserem Land
unterscheiden sich von denen in den Staaten der ehemaligen UdSSR, hinzu kommen Probleme bei der
Anpassung an Schule und Beruf.

Die Eltern hingegen versuchen in vielen Fällen, sich und ihre Kinder abzukapseln, um sie vor der
vermeintlich »zu großen Freiheit« und fehlenden Moral zu schützen [16] ; da sie in einem sozialistischen
System aufgewachsen sind, sind sie eher kollektivistisch orientiert und haben Schwierigkeiten, andere
Werte zu akzeptieren. Die Kinder bzw. Jugendlichen geraten somit zwischen die Fronten;
Familienkonflikte sind vorprogrammiert16, [17] .

Von den ca. 400-500 [18] jugendlichen Aussiedlern in Germersheim besuchen die meisten die Grund-
und Hauptschule (vgl. Abschnitt 2.2.8.) oder die berufsbildende Schule; auf dem Gymnasium finden
sich nur sehr wenige.

Typische Treffpunkte junger Aussiedler sind die Gebiete In der Kranenbleis, die Festung und das
Rheinufer.



2.2.4 Enttäuschte Hoffnungen

Doch auch die älteren Spätaussiedler werden oft enttäuscht. Da Deutschland den Ruf eines reichen
Landes genießt, erhoffen sie sich einen besseren Lebensstil, zumindest aber eine Arbeitsstelle. Jedoch
erwartet sie, gerade zur jetzigen Zeit, eine Arbeitslosenquote von ca. 20% [19] (unter Aussiedlern;
insgesamt beträgt die Arbeitslosenquote im Arbeitsamtsbezirk Germersheim ca. 10%) [20] .

Viele unter ihnen sind auf Sozialhilfe angewiesen, mangelnde Sprachkenntnisse und mangelnde
berufliche Qualifikation aufgrund anderer Berufsbilder erschweren die Eingliederung in den
Arbeitsmarkt.

Schon in ihren Herkunftsländern wurden sie als Ausländer betrachtet, nun müssen sie die Erfahrung
machen, daß es ihnen in Deutschland genauso geht.

2.2.5 Konflikt zwischen Türken, Aussiedlern und Einheimischen [21]

Viele Ausländer fühlen sich in Deutschland benachteiligt; daß sie nicht die gleichen Rechte haben wie
Deutsche und oft, wenn überhaupt, nur geringer qualifizierte Arbeitsplätze haben, mußten sie
akzeptieren. Durch die Ankunft der Aussiedler jedoch fühlen sich viele von ihnen benachteiligt: Die
Aussiedler werden bevorzugt; auch wenn ihre Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest anfangs
oft schlechter sind als die der Ausländer (in Germersheim meist Türken), haben sie die deutsche
Staatsbürgerschaft und bekommen Eingliederungshilfen (vgl. Abschnitt 2.1.4) , deren Höhe meist
überschätzt wird. Auf dem Arbeitsmarkt entsteht zusätzliche Konkurrenz.

Da sie sich als Deutsche fühlen, haben die Aussiedler ihrerseits oft wenig Verständnis für die Lage der
Ausländer, was den Konflikt noch anheizt.

Manche Einheimische betrachten Spätaussiedler aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse ebenfalls als
Ausländer; die Ängste ähneln denen der Ausländer selbst.

2.2.6 Integrationsmaßnahmen

Seit 1992 existiert der »Arbeitskreis Aussiedler«, in dem der Internationale Bund (IB), Caritas,
Diakonisches Werk, Christliches Jugenddorf (CJD), Arbeitsamt, Arbeiterwohlfahrt (AWO) sowie
Polizeistation, Kreis- und Stadtverwaltung Germersheim zusammenarbeiten [22] ; gegründet wurde er
auf Initiative des Internationalen Bundes [23] . Für die Bewohner von »In der Kranenbleis« wurden
Stammtischgespräche und Einwohnerversammlungen angeboten, was zunächst auf wenig Resonanz
stieß. Veranstaltungen, die im Freien abgehalten wurden, waren allerdings etwas besser besucht.

Erfolge erzielte man vor allem bei den Jugendlichen durch Sportveranstaltungen und Discos; hier findet
auch Kontakt zur türkischen Jugend statt [24] . Die Älteren leben eher zurückgezogen. Sie werden
von der Landsmannschaft der Rußlanddeutschen angesprochen, die allerdings hauptsächlich den
Kontakt untereinander fördert.

Einen Beitrag zur Integration leisten auch einige Vereine (z.B. der Fußballverein), in denen
Einheimische und Aussiedler ihre Freizeit zusammen verbringen (vgl. jedoch Abschnitt 2.1.2).

2.2.6.1 Informationsmaterialien

Um das Zurechtfinden in der deutschen Gesellschaft zu erleichtern, sind mehrere Broschüren
entstanden, bei deren Gestaltung und Finanzierung jeweils mehrere Institutionen zusammengearbeitet
haben.

Im Einzelnen handelt es sich hierbei um den »Leitfaden für Neubürger«, der Informationen über
notwendige Behördengänge, Politik und Alltagsleben in Deutschland sowie die Adressen von
Ansprechpartnern und Behörden enthält und die Broschüren »Wir in Germersheim« [25] und "Daheim
in Germersheim" [26] mit Erfahrungsberichten von Aussiedlern, Artikeln über die Situation in der
Rheinstadt und den Adressen von Vereinen; beide wurden an alle Germersheimer Haushalte verteilt.
Finanziert wurden sie, neben Inseraten, aus Zuschüssen von Bund, Kreis und Stadt ("Wir in
Germersheim») bzw. Land, Kreis und StadtDaheim in Germersheim") [27] .

Zu erwähnen ist ferner der »Russisch-Deutsche Bankenführer« [28] , der alle grundlegenden Begriffe
im Bereich Geld/Banken erläutert. Alle genannten Broschüren sind in Deutsch und Russisch abgefaßt,
»Daheim in Germersheim« zusätzlich in türkischer Sprache.

2.2.6.2 Sprach- und Integrationskurse

Wichtigste Voraussetzung für die Integration sind Kenntnisse der deutschen Sprache, eine
Voraussetzung, die von vielen Aussiedlern anfangs nicht erfüllt wird.

Die Bundesregierung finanziert zur Unterstützung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt Sprach- und
Integrationskurse über einen Zeitraum von sechs Monaten; da diese Zeit oftmals nicht ausreicht,
schließt sich ein Angebot der Germersheimer Volkshochschule an.

Ein Beispiel ist ein 1995 ins Leben gerufener Grundlehrgang für junge Aussiedler, veranstaltet vom
Berufsinformationszentrum Landau und Berufsförderzentrum Maximiliansau in der Germersheimer
Berufsschule. Er beinhaltet neben "Unterricht im Bereich der Sprachförderung, berufskundliche
Informationen, und in der Berufswegeplanung" [29] auch ein Praktikum.

Von privater Seite (BASIS GmbH) werden ähnliche Kurse angeboten, die vom Arbeitsamt gefördert
werden; hier liegt der Schwerpunkt jedoch neben Hilfen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz auf
Allgemeinbildung bezüglich Deutschland und Unterricht über das Alltagsleben - auch Freizeitgestaltung
ist hier ein Thema (vgl. Abschnitt 2.1.2).

2.2.6.3 Bemühungen der Kreisverwaltung

Die Kreisverwaltung hat eine Stelle für einen Aussiedlerbeauftragten geschaffen, dessen
Tätigkeitsschwerpunkt naturgemäß in der Stadt Germersheim liegt, da hier die meisten Aussiedler des
Landkreises leben. Weitere Projekte speziell für Aussiedler seitens der Kreisverwaltung gibt es nicht.

Der Aussiedlerbeauftragte, selbst Aussiedler, fungiert hauptsächlich als Berater und vermittelt
Kontakte zu Vereinen und Arbeitgebern. Im Fall der Vereine ist das einfach, die Arbeitsplatzsuche ist
aufgrund der schwierigen Arbeitsmarktlage hingegen trotz der von ihm als außergewöhnlich hoch
eingeschätzten Arbeitsbereitschaft problematisch; dennoch kann er einige Erfolge aufweisen [30] .

2.2.6.4 Angebote für junge Aussiedler: der IB [31]

Der Internationale Bund (IB) ist eine Wohlfahrtsorganisation, die sich u.a. um Jugendliche bemüht; er
sieht sich als »gesellschaftlicher Reparaturbetrieb«. Zwar ist er um die Integration bemüht, doch richten
sich seine Angebote nicht nur an Aussiedler. Denn um eine Eingliederung in die Gesellschaft zu
erreichen, sollten die jungen Aussiedler nicht unter sich sein.

Konkret führt der IB Fortbildungskurse für Haupt- und Sonderschüler durch, aber auch sonstige
berufsbildende Maßnahmen im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit. In Germersheim wird neben
Jugendzentrum (im Hufeisen) und Stadtteiltreff westlich der Joseph-Probst-Straße auch eine
Beratungsstelle für junge Aussiedler unterhalten.

Aus Bundesmitteln werden beim IB in Germersheim 1,5 Planstellen, Sachmittel (besonders Miete) und
zusätzliche Gelder für durchgeführte Seminare finanziert.

Der IB kann auch gezielt Aussiedler ansprechen, da die Namen der vom Durchgangswohnheim
Osthofen nach Germersheim ziehenden Aussiedler ihm mitgeteilt werden.

2.2.7 Kriminalität

2.2.7.1 Allgemeines

Auch in der Kriminalstatistik werden Aussiedler nicht getrennt aufgeführt [32] ; es lassen sich in
Germersheim nur Aussagen über einzelne Auffälligkeiten machen. In Niedersachsen ergab eine Studie
[33] jedoch, daß in den vier Landkreisen mit dem höchsten Aussiedlerzuzug die Kriminalität unter
Deutschen (inklusive Aussiedlern) zwischen 14 und 30 Jahren "insbesondere bei Gewaltdelikten, beim
Diebstahl und der Drogenkriminalität seit 1990" sehr stark zugenommen hat; Grundlage ist die Anzahl
der Tatverdächtigen.

Als Beispiel werden die Tatverdächtigenziffern bei Raubdelikten mit den fünf Landkreisen mit dem
geringsten Aussiedlerzuzug verglichen; die Studie kommt zu dem Ergebnis, daß in den Kreisen mit
hoher Aussiedlerzuwanderung "die TVZ der 14- bis unter 30jährigen Deutschen seit 1990 um das
Zweieinhalbfache zugenommen (+ 148,5 %) [hat], in der Vergleichsgruppe von Landkreisen dagegen
nur um 39,7 %". Inwieweit andere Rahmenbedingungen zur erhöhten Kriminalität in den genannten
Kreisen geführt haben, läßt sich nicht beurteilen; der extreme Unterschied in den Zahlenwerten legt
jedoch einen tatsächlichen Zusammenhang mit der Zuwanderung von Spätaussiedlern nah; auch
stammt die zitierte Studie von einer renommierten Quelle.

Fälle, in denen Aussiedler besonders auffällig wurden, gibt es auch in Germersheim. An erster Stelle ist
hier die Schlägerei auf dem Pfingstmarkt 1997 zu nennen: Je 25 Türken und Aussiedler kämpften hier,
zum Teil mit Messern, gegeneinander, wobei eine Person schwer und mehrere leicht verletzt wurden
[34] . Die Leiter der Einkaufsmärkte Hela und Real klagen über besonders viele Diebstähle durch
Aussiedler [35] . Zwar wäre es leichtsinnig, von solchen Einzelfällen auf eine allgemein höhere
Kriminalitätsrate zu schließen, aber sowohl die Rahmenbedingungen als auch die Einbeziehung der
genannten Studie lassen dies doch vermuten.

2.2.7.2 Ursachen

Die enttäuschten Erwartungen (vgl. Abschnitt 2.2.4) führen zur Frustration. Besonders arme, junge
Aussiedler wünschen sich die Teilhabe an der Konsumgesellschaft; kriminelles Verhalten scheint ein
einfacher Weg zum Geld zu sein. Hinzu kommt, daß viele nichts mit ihrer Freizeit anzufangen wissen
(vgl. Abschnitt 2.1.2). Alkohol (der gesellschaftlich in den Staaten der ehemaligen UdSSR noch
stärker akzeptiert war als in Deutschland) und Drogen sind erste Schritte in den weiteren sozialen
Abstieg und damit die Kriminalität.

2.2.8 Brennpunkt Geschwister-Scholl-Schule [36]

2.2.8.1 Allgemeines

Die Situation an der Grund- und Hauptschule (Geschwister-Scholl-Schule) ist allein schon deshalb
bemerkenswert, weil von insgesamt 895 Schülern 269 Aussiedler sind; das entspricht einem Anteil von
30% (Schuljahr 1997/98). Problematisch wird die Integration allein schon, weil die Anzahl der
Ausländer mit 257 (29%) kaum geringer ist.

Aus diesem Grund sind die Einheimischen in vielen Klassen in der Minderheit; zur Förderung der
Integration findet keine Trennung nach Herkunft statt [37] .

2.2.8.2 Sprache

Viele Jugendliche sind zum Zeitpunkt ihrer Ankunft in Deutschland noch nicht der deutschen Sprache
mächtig und nicht in der Lage, dem Unterricht zu folgen. In einem Vorkurs wird diese, je nach
Notwendigkeit, mit bis zu 20 Wochenstunden in Gruppen von sieben bis fünfzehn Personen gelehrt.
ehindert werden diese Bemühungen allerdings dadurch, daß die Aussiedler untereinander meist nicht
deutsch sprechen.

Viele unter ihnen sind deshalb nicht in der Lage, ihren Abschluß zu schaffen.

2.2.8.3 Integration

Der unterschwellig vorhandene Konflikt zwischen Aussiedlern und Türken ist natürlich auch hier
vorhanden. Dennoch klappt die Integration an der Hauptschule im Großen und Ganzen gut. In den
oberen Klassen herrscht ein meist friedliches »Nebeneinander«, was allein schon an der meist
getrennten Sitzordnung zu erkennen ist; in den unteren Hauptschulklassen sitzen die verschiedenen
Gruppen sogar gemischt.

Die Schulleitung versucht, mit Hilfe von Arbeitsgemeinschaften Aussiedler und Türken in ihrer Freizeit
zusammenzubringen, um ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erreichen.

An der Geschwister-Scholl-Schule arbeiten zwei Sozialarbeiter, die sich hauptsächlich mit Problemen
der Jugendlichen zu beschäftigen haben, deren Ursachen außerhalb der Schule liegen.

Gelegentliche Zeitungsberichte [38] über Gewalt zwischen den beiden Gruppen an der Grund- und
Hauptschule sind nach Angaben der Schulleitung eine Übertreibung; es handle sich hierbei um
Einzelfälle bzw. normale Raufereien, wie es sie anderswo auch gäbe.

2.2.9 Folgen für Stadt und Landkreis

2.2.9.1 Finanzielle Folgen

Im Jahr 1996 bezogen ca. 25% der Aussiedler Sozialhilfe; umgekehrt waren ca. 25% der
ozialhilfeempfänger der Stadt Aussiedler. Diese Zahlen sind seitdem zwar rückläufig, befinden sich


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