So ist es:
wenn der Mensch zu lieben beginnt,
wenn er nur erst mit dem Munde und dem kleinen dicken Bauch
liebt, dann liebt er nur sich selbst, auf daß er wachse und er selbst werde. Er
liebt die Zitzen der Mutter, die Zitzen der Ziegen und Kühe,
die Zitzen der Esel, die Zitzen der Wolken, die Zitzen alles Trinkbaren. Bald
liebt er auch die Löffel und die Teller, wenn sie voll sind. Er ißt mit den Augen, so sehr
liebt er die Speise. Plötzlich
liebt er auch die Eltern. Das ist schon eine recht verwickelte Sache.
Der Mund und der Bauch haben noch immer Teil daran;
aber man weiß nicht recht auf welche Weise, denn dies ist die
Liebe, die große Liebe. Noch später, ein wenig später nur,
liebt er den gleichgeschlechtlichen Artgenossen.
Das ist um vieles unerklärlicher als die voraufgehende
Liebe. Denn es ist die echte
Liebe, die opferbereite Liebe, die blutschwarze unvergängliche Liebe,
die Freundschaft, die selbstlose Liebe. Und endlich
liebt er das Weib. Es ist die natürliche
Liebe, die zeugende und vermehrende Liebe, die ganz und gar unvermeidbare Liebe.
Sie hat, wie alle Liebe, mit dem Munde und mit dem Bauche zu schaffen.
Auch sie entlaubt sich wie die Blätter im Herbst.
Sie bleibt nicht grün.
Sie wird gelb und braun und fällt.
Hans Henny Jahnn, Fluß ohne Ufer I,904f.
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