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Karl May schrieb am 22.4. 2016 um 00:57:11 Uhr über

Der-alte-Dessauer

[...]

Unterdessen war der junge Handwerksbursche, der dritte Mann auf der Landstraße, an den Krug gekommen, ohne jemandem begegnet zu sein. Er war wohl von einem langen Weg ermüdet; denn er trat in die Schenke ein und ließ sich auf demselben Stuhl nieder, auf dem kurz zuvor derAlte Dessauer“ gesessen hatte. Außer dem Wirt befand sich jetzt nur noch der Korporal in der Stube. Er schien den Eingetretenen gar nicht zu bemerken. Dieser öffnete seinen Ranzen und zog eine mächtige Blutwurst daraus hervor, die er ohne Brot zu verzehren begann. Dazu ließ er sich ein Glas Bier geben.
Woher des Weges?“ fragte der Wirt. „Wohl von Oschersleben?“
Der Fremde nickte.
Was ist man denn?“
Sieht Er das nicht, Er Rhinozeros? Ein Handwerksbursche!“
Hm, er scheint unter dem wilden Viehzeug sehr bewandert zu sein! Was hat Er denn für ein Handwerk gelernt, he?“
„Bürstenbinder.“
Glaub es! Grob genug ist Er dazu, und das Saufen hat Er auch gelernt. Schlingt dieser Kerl einen Doppelkrug Braunbier in einem einzigen Zug hinunter! Wo ist man denn geboren, he?“
Im Bett.“
Alle Wetter! Jetzt bin ich so klug wie zuvor. Aber ich möchte doch gern wissen, was für einen Landsmann man vor sich hat.“
Ich bin ein Lappländer.“
Das sieht man an den Wurststücken, die Er hinunterlappt! Er hat ein Gefälle wie ein Bulldogge.“
Wenn Er sich um mein Gefälle kümmert, so sehe Er zu, daß der Krug nicht in alle Ewigkeit leer stehenbleibt, sonst fahre ich Ihm mit meinem Knotenstock zwischen die Beine, daß sie in Bewegung kommen!“
Hm, Er ist noch ein junger Kerl, aber man kann von Ihm viel lernen.“
Der Wirt brachte das Bier und ließ sich neben dem angeblichen Bürstenbinder nieder.
Ist Er nicht vor ganz kurzer Zeit bereits einmal Lohgerber gewesen?“
„Lohgerber? Nein. Aber ich kann es gleich werden. Wenn Er mir noch einmal mit einer solch albernen Frage in die Quere kommt, so gerbe ich ihm das Fell, daß das Pergament in Fetzen davonfliegen soll!“
Auch nicht übel! Er hätte bedeutende Anlagen zum Adjutanten beim Fürsten Leopold oder beim Kronprinzen Friedrich Wilhelm, den beiden gröbsten Kerlen, die es gibt.“
Sage Er ihnen dies einmal selber, Er Lausewenzel, Er!“
Mag von dieser Ehre gar nichts wissen! – Na, na, nehme Er sich nur Zeit. Weiß Gott, der Doppelkrug ist schon wieder leer!“
Mach Er ihn voll!“
Das wollte ich wohl. Aber hat Er denn auch Geld?“
Will Er wohl auf der Stelle einschenken, oder soll ich nachhelfen?“
Wenn Er Geld hat, werde ich Ihm einschenken, sonst nicht. Zeige Er seinen Beutel her!“
Erst den Stock, dann das Bier, und zuletzt den Beutel.“
Mit diesen Worten ...

[...]

aus: Karl May: Der alte Dessauer, Ges. Werke Bd. 42, S. 16 ff.



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