Berthold Beitz
Berthold Beitz ist einer unter wenigen Deutschen, die von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt wurden. Als junger Manager der deutschen Besatzungswirtschaft in Ost-Galizien versucht er in seinem beruflichen Einflussbereich, aber auch im Privaten, ein Stück Menschlichkeit zu bewahren. Zuletzt deckte er Verfolgte, versorgt und versteckt sie zu einer Zeit, in der nur die überlebten, deren Arbeitskraft als unverzichtbar erklärt wurde. Berthold Beitz unterstützte den polnischen Widerstand, er und seine Frau Else, Bertholds starker Rückhalt, versteckten Kinder im Privathaus. Eine beachtliche Kette einzelner Aktionen für einen jungen Mann mit Frau und Kind, stets mit hohem Risiko aber auch der wachsenden Einsicht verbunden, an den immer deutlicher und offensichtlichere werdenden Verbrechen nicht teilhaben zu wollen.
Diese Arbeit soll Berthold Beitz’s Verhalten hinsichtlich der auf ihn wirkenden Umstände beleuchten. Dieser Anspruch ist aber in soweit problematisch, dass dieses Themengebiet in der Forschung und wissenschaftlichen Bearbeitung bisher nur selten berücksichtigt wurde.
Berthold Beitz wurde am 26. September 1913 in Zemmin (Pommern) geboren. Sein Vater, Erdmann Beitz, diente zunächst als Feldwebel und arbeitete nach seiner Entlassung 1918 bei der Reichsbank, ab 1919 in Greifswald. Berthold Beitz’ Mutter Erna war Tochter eines Gutsverwalters. Berthold wuchs ein Greifswald in sicheren Verhältnissen auf. Er hatte Vorlieben für Wassersport, Jazzmusik und die Jagd, worunter auch seine Ausbildung am Gymnasium litt. Die Familie galt als konservativ, Politik spielte keine große Rolle.
Der Sohn folgte nach seinem Abitur 1934 seinem Vater mit einer Lehre ins Bankgeschäft. Bei seinem ersten Arbeitgeber erreichte der junge Berthold Beitz die Stellung des stellvertretenden Filialleiters. Anfang 1939 kehrte sich sein beruflicher Werdegang. Im April dieses Jahres wechselte Beitz auf seine Bewerbung in Hamburg zur Shell, wo er als einfacher kaufmännischer Angestellter tätig war.
Beitz heiratete, ein Jahr später kam Tochter Barbara zur Welt.
Mit Beginn des Polenfeldzuges der deutschen Wehrmacht Anfang September wechselte Beitz abermals seine Anstellung. Das Reichswirtschaftsministerium suchte Personal für die Betriebe im nach dem Polenfeldzug gegründeten Generalgouvernement und dienstverpflichtete ihn 1939. Im November des gleichen Jahres arbeitete er Jaslo, einer Stadt gelegen im an Ressourcen reichen südpolnischen Beskiden-Gebiet , das Anfang September den Deutschen in die Hände viel.. In der neu gegründeten Beskiden-Erdöl-Gewinnungsgesellschaft mbH war er zunächst als Mitarbeiter in der kaufmännischen Leitung tätig, später übernahm er die Leitung der Materialbuchhaltung im benachbarten Krosno. Zunächst wollte Beitz auf das Angebot nicht eingehen. Zum einen bedeutete der Wechsel eine Trennung von seiner Frau, zum anderen wollte er nicht in den ländlichen Raum zurück, war er doch erst nach Hamburg gekommen. Angesichts der Herausforderung, eine relativ selbstständige Stellung mit guten Aufstiegsaussichten zu erlangen, entschloss er sich aber dennoch dafür.
Berthold Beitz's späteres Wirkungsgebiet in Ost-Galizien wurden ebenfalls im Zuge des Deutschen Überfalls erobert. Die Wehrmacht erreichte das Gebiet bereits in der dritten Woche nach dem Angriff. Boryslaw, der spätere Wohnsitz der Familie Beitz, wurde schon am 18.9.1939 erobert. Allerdings war das Gebiet im deutsch-sowjetischen Nicht-Angriffs-Pakt als russisches Interessengebiet ausgewiesen. Nach der Niederlage Polens musste die Wehrmacht entsprechend den Rückzug antreten, jedoch ohne die Absicht jegliche Kriegsbeute -von Maschinen bis zu Lebensmitteln- zurückzulassen. Die deutsche Seite versuchte noch, das Gebiet bei den Verhandlungen über den Grenzverlauf mit Russland behalten zu können, Stalin akzeptierte nicht. Dennoch erhielt das Deutsche Reich auch nach russischer Besetzung Erdöllieferungen, im Austausch gegen Steinkohle und Industrieprodukte.
Die Besetzung seitens der Russen fand schon am 27.September 1938 statt, das Gebiet wurde unter der Bezeichnung Westukraine einverleibt. Die Erölindustrie wurde in staatseigene Betriebe umgewandelt. Deportationen angeblich „sovjetfeindlicher“ Einwohner setzten ein. Darunter waren auch zahlreiche Juden, gezielt wurde gegen sie allerdings nicht vorgegangen. Das sollte sich mit dem deutschen Angriff auf die Sovietunion grundlegend ändern.
Als das Unternehmen Barbarossa, der Feldzug gegen Russland begann, eroberten Anfang Juli die deutschen Truppen abermals die strategisch wichtigen ost-galizischen Gebiete.
Die Besetzer versuchten zunächst die Sympathie der Einheimischen zu gewinnen, indem sie die Verbrechen der vorhergehenden Besatzungsmacht hervorzuheben versuchten. Die Opfer der Gräueltaten der Sovjets wurden „bolschewistischen Juden“ angelastet, obwohl zu ihnen neben zahlreichen Ukrainern viele jüdische Einwohner des Gebiets zählten.
Dem von den Deutschen gebildete und bewaffnete, überwiegend aus antisemitisch eingestellten Einwohnern bestehende „Ukrainische Ordnungsdienst“ wurden zu Beginn der Besetzung fast alle Freiheiten eingeräumt. Übergriffe auf Juden wurden mehr gefördert als unterbunden. Bei den anfänglichen Pogromen nach deutscher Beatzung wurden über 180 Juden unter der Duldung der Deutschen umgebracht. Ähnliche Verbrechen sind zur Mitte des Jahres 1941 aus ganz Galizien bekannt. Beitz, zu dieser Zeit unmittelbar der Wehrmacht folgend, sah hier zum ersten Mal entsprechende von Deutschland zu verantwortende Verbrechen, die er aber zunächst noch als vereinzelte Ausschreitungen zu deuten versuchte.
Die Erdölförderung in den Karpaten war ein wichtiges strategisches Ziel des deutschen Angriffs. Im eigentlichen Reichsgebiet waren kaum Vorkommen zu verzeichnen, der Bedarf der deutschen Kriegsmaschinerie wurde überwiegend durch rumänische Exporte gedeckt oder selbst im Syntheseverfahren künstlich hergestellt. Sich des Mangels bewusst, suchte das Reichswirtschaftsministerium unmittelbar nach Beginn der Kampfhandlungen entsprechende Fachleute, um die Erdölförderung in den eroberten Gebieten weiterhin zu gewährleisten.
Die nach der Übergabe an Russland im September 1939 zu staatseigenen umgewandelten und bei ihrem Abzug durch die Russen verwüsteten Betriebe wurden durch die Deutschen in der Beskiden-Erdöl-AG, der späteren Karpathen-Öl-AG zusammengefasst.
Die Hauptverwaltung der Unternehmung hatte ihren Sitz in der nächsten größeren Stadt, Lemberg. Weiter wurden ausgelagerte Betriebsinspektionen errichtet, darunter auch eine in Boryslaw, denen jeweils ein technischer und ein kaufmännischer Leiter vorstanden. Letzterer wurde im Juli 1941 Berthold Beitz. Er hatte damit das Sagen über bis zu 13.000 Arbeiter und die wichtigsten Erdölvorkommen seines Unternehmens. Zu der Zeit war 28 Jahre alt.
Beitz versuchte von Beginn an, eine gewisse Eigenständigkeit des Unternehmens zu sichern. Er gründete eine Genossenschaft zur Versorgung seiner Arbeiter mit Lebensmitteln und behielt den von den vorherigen russischen Besatzern eingeführten Tauschhandel von Lebensmitteln gegen Petroleum bei. Eine Maßnahme, die nicht nur zur Versorgung der eigenen Belegschaft beitrug, sondern auch für Bestechungen der Vorgesetzten hilfreich war.
Traditionell waren in den ansässigen Betrieben der Erdölförderung viele Juden beschäftigt, nicht zuletzt wegen ihrem relativ großen Anteil an der Gesamtbevölkerung.
Sie waren in allen Bereichen beschäftigt, hauptsächlich jedoch als kaufmännische Mitarbeiter in der Verwaltung oder als Chemiker und Ingenieure mit der Ölförderung beschäftigt. Mit der Übernahme durch die Deutschen Mitte des Jahres 1941 übernahmen die Besatzer zunächst auch alle Beschäftigten, jeder fünfte von ihnen war zu dieser Zeit jüdischer Herkunft. Allerdings war die Beschäftigung von Zwangsarbeitern insbesondere in der Verwaltung bereits verboten. Eine solche Arbeit war nicht im Sinne der Nazis, ihnen ging es schließlich um „Vernichtung durch Arbeit“. Nach der Entlassung der Juden wurden sie nach einigen Monaten im Oktober 1941, mit der Gründung der Beskiden-Erdöl, wieder eingestellt.
Auf Drängen der Geschäftsleitung wurde die Situation im Unternehmen zunächst geduldet. Man berief sich auf die Notwendigkeit der Mitarbeit dieser Arbeiter, um eine reibungslose Wiederaufnahme der Erdölproduktion in Galizien sicherstellen zu können. Zu nutze kam hierbei der chronische Mangel an Erdölproduckten im 3.Reich, der die Bedeutung des Betriebs für die Kriegswirtschaft noch steigerte und zunächst vor solcherart für die Produktion hinderlichen Aktionen verschonte.
Auch diese Situation sollte sich in absehbarer Zeit ändern.
Mit Beginn des Jahres 1942 macht auch in Ost-Galizien Gerüchte von bevorstehenden „Aktionen“ gegen die jüdische Bevölkerung die Runde. In Berlin hatte Ende Januar die Wannsee-Konferenz stattgefunden, die ‚Endlösung’ sollte das Schicksal der Juden besiegeln.
Im März des Jahres `42 wurden in erste Ghettos eingerichtet. Der jüdischen Bevölkerung wurde der Umzug in ausgewiesene Judenviertel innerhalb zweier Wochen befohlen Diese Gebiet waren oftmals gekennzeichnet durch räumliche Enge und einen schlechten Bebauungszustand. Die Viertel wurden zunächst von Ukrainischer Miliz und einem ‚jüdischen Ordnungsdienst’, den der Judenrat auf Befehl einrichten musste, bewacht, und waren nicht eingezäunt worden. Angesichts der nach Plan bevorstehenden Vertreibung und Vernichtung dieser Menschen hielten die Nazis solche Maßnahmen zunächst als nicht notwendig.
Die Versorgung der Internierten mit dem nötigsten war zunächst nicht gewährleistet. Entsprechend schlecht waren die Lebensbedingungen, hinzu kam eine verheerende Typhus-Epidemie des Jahreswechsels `41/`42.
Im Laufe des Jahres 1942 liefen die von den Nazis sogenannten „Aussielungsaktionen“ an. In der unmittelbaren Umgebung wurde jüdischen Bürgern befohlen, sich an genannten Sammelplätzen einzufinden. Grundlage waren oft Namenslisten, zu deren Erstellung unter entsprechenden Vorgaben der Judenrat gezwungen wurde. Da zunächst nur Arbeitsunfähige deportiert wurden, musste man im Zuge der deutschen Selektionen entsprechend handeln, um zumindest einen Teil der eigenen Bevölkerung zu verschonen – eine Zwangslage in der sich neben den Judenräten auch diejenigen befanden, die Juden vor dem nationalsozialistischen Vorgehen schützen wollten. Insbesondere das Verhalten des Judenrats lässt hierbei darauf schließen, das für die Beteiligten die Vorstellung einer Endlösung, das Vorhaben des Vernichtens aller Juden, nicht absehbar war.
So geschah es beispielsweise in der Stadt Drohobycz, wo später ein Arbeitslager der Kaparthen-Öl-AG entstehen sollte. Die erste Deportation endete dort mit weit über 1000 Menschen im Nahegelegen Konzentrations- und Vernichtungslager Belzec.
In Boryslaw selbst setzten die Maßnahmen mit Anfang August 1942 ein. Gewarnt durch das Schicksal der Nachbarn versuchten die betroffenen ihr Leben durch Flucht und Verstecken, beispielsweise im Wald, zu retten. Als das von der Sicherheitspolizei und der SS umstellte Ghetto fast menschenleer angetroffen wurde, kehrte man nach einem Scheinrückzug am nächsten Tage wieder, die aus ihren Verstecken zurückgekehrten Flüchtigen wurden verhaftet. Berthold Beitz wurde zu dieser Gelegenheit abermals Zeuge der Verbrechen deutscher Besatzer in seiner Umgebung. Dem angeblichen Ziel des Transports, die angebliche Einweisung in ein Arbeitslager, konnte er keinen Glauben mehr schenken, gehörten
doch den bis zu 6000 Betroffenen viele Alte, Kranke und sogar Kinder an.
Diese Bemerkungen konnte Beitz nur deshalb machen, weil er bereits bei den ersten Aktionen tätig wurde. Er erfuhr von der Deportation und damit auch vom Schicksal einiger seiner Arbeiter. Am Bahnhof auf die Rampe eilend erklärte er kurzerhand an die 250 Betroffene als unverzichtbare Facharbeiter seines Betriebs und verschonte sie damit vor ihrem Abtransport.
Außerdem versteckte die Familie Beitz im Zuge der folgenden August-Aktionen wie auch später gefährdete Personen im Privathaus in Boryslaw. Dabei war man sich sicherlich der Gefahren für die eigene Existenz bewusst. So wurde Berthold Beitz von deutschen Kollegen aus seiner Firma als juden- und polenfreundlich denunziert und seine Ablösung gefordert. Damals war Beitz nur dank persönlicher Beziehungen zum Sicherheitsdienst, an den die Beschwerde fälschlicherweise gewendet wurde, vor größerem Unglück bewahrt worden.
Nochmals kam Berthold Beitz in große Gefahr, als aus seinem Büro stammende gefälschte Arbeitspapiere auftauchten. Erst durch die Erstellung eines illegalen Arbeitsausweises durch ein mutiges, jüdisches Geschwisterpaar nahm den Vorwürfen der SS den Wind aus den Segeln. Entstand es doch währen Beitz` Aufenthalt bei der SS, die unterstellte Mithilfe seinerseits an solcherart Dokumentenfälschung war durch diese Demonstration haltlos geworden.
Im Zuge der dramatischen Verschlechterung der Situation der jüdischen Arbeiter des mittlerweile unter KarpathenÖl-AG zusammengefassten Unternehmens begann man im Jahre 1942 mit der Einrichtung von firmeneigenen Arbeitslagern. Diese Boten den Verfolgten zumindest einen gewissen Schutz vor der willkürlich handelnden SS.
Für diese Arbeitslager war bis Oktober 1942 Berthold Beitz zuständig. Eine Bezahlung der Zwangsarbeiter erfolgte nicht, stattdessen wurden sie mit Lebensmitteln versorgt. Die Arbeiter wohnten oft gemeinsam mit ihren Familien, da man eventuellen Trennungen von den der Aktionen außerhalb des Lagers ausgesetzten Angehörigen das Sinken der Arbeitsmoral fürchtete. Folglich entsprach die Zusammensetzung der Gefangenen durchaus nicht der eines gewöhnlichen Arbeitslagers.
Ausweisen mussten sich die Arbeiter der Karpathen-Erdöl durch ein an der Kleidung angebrachtes Zeichen in der Form des Buchstaben „R“ für Rüstungswirtschaft, das zunächst noch von der Karpathen-Öl-AG selbst ausgegeben werden durfte, allerdings nur in der Verbindung mit einem Arbeitsausweis Gültigkeit hatte, der von der Sicherheitspolizei genehmigt und ausgestellt wurde und vom Unternehmer gegengezeichnet werden musste. Dafür war Berthold Beitz bis Oktober 1942 neben der Unterbringung, der Verpflegung und dem Einsatz der Arbeitskräfte ebenfalls zuständig. Wahrend laufenden Selektionsmaßnahmen der SS wurden zeitweise sogar sogenannte „Lagersperren“ angeordnet, die den Insassen das Verlassen des Lagers untersagte.
Im Oktober `42 übernahmen SS-Einheiten die Leitung des Lagers. Sie verfügte von da an über die Gefangenen und verkaufte deren Arbeitskraft an die Betriebe. Um die beiden Lager der Karpathen-Öl-AG, in Drohobycz mit ungefähr 100 Gefangenen und Boryslaw um die bis zu 1400 Gefangenen wurden Zäune gezogen, das Unternehmen verlor Einfluss auf die Lagerführung.
Ab 1943 begannen auch lagerinterne Selektionen, bei denen die sich illegal Aufhaltenden Insassen, d.h. die ohne kriegswichtige Arbeit, aussortiert wurden. So verursachte ihr Unterhalt Kosten, ohne den Besatzern zu Nutzen. Zum Konzentrierten sich die Maßnahmen auf die Lager, da außerhalb dieser kaum noch Juden anzutreffen waren.
Nach den Verbrechen im August des Jahres 1942 fanden im Oktober bzw. November zwei weitere große „Aussiedelungsaktionen“ statt.
Abermals wurde Beitz aktiv und versuchte möglichst viele Menschen als Arbeiter ihrem Schicksal zu Entreißen, so versteckte er zum Beispiel seine Mitarbeiter in den Verwaltungsbüros.
Die getroffene Auswahl –Beitz fragt viele nach ihren Berufen- wurde im nachhinein dahingehend ausgelegt, er hätte nur im Sinne der Rüstungswirtschaft selektiert. Dieser Vorwurf wurde aber, nicht zuletzt auf Nachforschungen der Experten der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, entkräftet. Wie sonst ließe sich die Auswahl eines Gärtners, einer Putzfrau oder eines Friseurs erklären, die im nachhinein von vielen überlebenden bezeugt wurde. Insgesamt gelang es Beitz wiederum, an die 250 Menschen vom Zug nach Belzec zu retten.
Neben der Deportation und der Vergasung in Belzec wurden auch Massenexekutionen im Wald oder in abgelegenen Gebäuden durchgeführt. Weitere Erschießungen fanden ab Februar 1943 im Schlachthof von Boryslaw statt.
1944 wurde Beitz eingezogen und musste im März er kämpfenden Truppe beitreten, zuvor wurde seine Freistellung nur noch für jeweils ein halbes Jahr ausgestellt. Immerhin war er Feldwebel und Offiziersanwärter in Reserve, bis 1938 hatte er auf Drängen des Vaters an einigen freiwilligen Wehrübungen teilgenommen. Berthold Beitz erlebte das Kriegsende als Soldat.
Nach Kriegsende arbeitete Beitz im Versicherungswesen. Er fand mit Unterstützung seiner vormaligen englischen Sekretärin eine Anstellung beim Aufsichtsamt für das Versicherungswesen in der britischen Zone. Auf seine kontrovers Diskutierte Rolle bei Entnazifizierungsverfahren möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. 1948 wurde er Generaldirektor der Iduna-Germania-Lebensversicherung, bevor er 1953 zum Generalbevollmächtigten bei Krupp in Essen aufstieg. Er baut den Konzern neu auf, organisiert die Umformung des Unternehmens in eine Kapitalgesellschaft. Nach Alfried Krupps Tod und der Gründung der Krupp-Stiftung wird Beitz 1967 deren Kuratoriums-Vorstand, wird stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender und führte den Aufsichtsrat der Krupp GmbH von 1970bis 1989. Als Ehrenvorsitzender wirkt er maßgeblich an der Umwandlung des Konzerns in eine Aktiengesellschaft (1992) und an der Unternehmensfusion mit Hoesch (1998) mit.
1973 wurde Berthold Beitz als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet. Ein Baum in der „Allee der Gerechten“ steht nun für ihn in der jüdischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Für seines überwiegend wirtschaftliches Engagement gegenüber des Ostblocks erhält er das Bundesverdienstkreuz, manche sehen ihn auch als Wegbereiter der neuen Ostpolitik Brandts. Auch insbesondere in Polen erhält er zahlreiche Anerkennungen, insbesondere bezüglich seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg.
Vizepräsident des Olympischen Komitees wird Berthold Beitz 1984, später wird er Ehrenmitglied auf Lebenszeit.
Beitz Verhalten, die Kette seiner Initiativen bildet sich erst allmählich heraus. Mit der zunehmenden Verschlimmerung der Situation der Juden, mit den sich an Grausamkeit überbietenden Verbrechen seitens der Deutschen, wächst seine Abneigung gegen das gesamte System an individuellen Erlebnissen. So reagiert er, gemeinsam mit seiner Familie, zunächst noch im kleinen. Es wird mit den Verfolgten im Hause Beitz ein anständiger Umgang gepflegt, man versorgt sie mit Lebensmitteln, distanziert sich von durch Deutsche begangenem Unrecht, versucht eine moralische Stütze zu bieten.
Beruflich waren dir Grenzen des Verhalten enger gesteckt. Beitz Wirken muss hier angesichts seiner Stellung gesehen werden. Als Angestellter –und nicht als selbständiger Unternehmer- unterlag er gewissen Zwängen. Es galt, den Erfolg des Unternehmens zu sichern, auch um den Preis der Selektion, beispielsweise des Austauschs Ungelernter gegen Facharbeiter. Beruflich versuchte er „den ‚Endlösern’ kriegswirtschaftliche Erfordernisse entgegenzuhalten.“
Neben der Ausstellung gefälschter Arbeitspapiere warnte der auch Lagerinsassen vor den gefürchteten Selektionen der „illegalen“ durch die SS und schützte diese, indem er ihnen Übernachtungen in den Verwaltungsgebäuden der Karpathen-Öl-AG gewährte. So beschäftigte er auch angehörige des polnischen Widerstands und unterstützte diese bei ihren Unternehmungen. Versorgte die Lager wie auch andere soziale Einrichtungen mit Lebensmitteln. Wasser- und Gasversorgung, Läden, Verkaufsstellen usw. waren an das ein Unternehmen angegliedert, womit er die Kontrolle behielt.
Später wird er sein Tun zum Teil mit dem Leichtsinn eines damals für seine Position jungen Mannes erklären, dennoch sind in seinem Handeln Züge einer festen Überzeugung nicht zu übersehen. Jedoch ist ein Vorsatz nicht auszumachen, Beitz schlittert mehr oder weniger dadurch in die Situation, aus innerer Überzeugung helfen zu müssen, da er mit dem unvorstellbaren Geschehen konfrontiert wird.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass deutsche Gericht die Hilfe von Besatzern für die Juden nicht annähernd in den Maße ahndeten wie bei Einheimischen, stellen sich Beitz’s Rettungsinitiativen verglichen mit dem Verhalten seiner Deutschen Landsleute in entsprechen einflussreichen Positionen als noch eindrucksvoller dar. Denn bezüglich der Deutschen war man sich oftmals der gängigen Rechtssprechung nicht sicher, entsprechende Angelegenheiten verliefen oftmals im Sande. Gegen Kriegsende häuften sich allerdings Prozesse vor Sondergerichten, die entsprechende Vergehen mit dem Tode bestraften.
Die Motivation der Rettungsaktionen von Berthold Beitz lässt sich nur schwer erklären. Politisch war sein Verhalten laut eigener Aussage nicht. Er wollte es nicht einmal als Widerstand akzeptieren. Vielmehr erklärte er die menschliche Komponente als entscheidend. Zumindest war Beitz kein Parteimitglied der NSDAP und seine Karriere verlief zunächst unabhängig von deren politischem Erfolg. Beitz hielt nicht viel von den Nazis. Aber vielleicht war hier die Wirkung anders als seine Absicht:
„In fact, though he never engaged in active political opposition to the Nazism, Beitz's help to the Jews of Boryslaw directly challenged the most crucial ideological fixation of the regime. In this sense, it may be characterized as a higher form of resistance to Nazism.”
Vielmehr scheinen ihn die Erlebnisse in Ost-Galizien von Beginn an zu prägen. Dem unmenschlichen, dem Unrecht und den Verbrechen der Deutschen wollte er entgegenwirken, nicht zuletzt aus Furcht vor der Verantwortung solcher Taten, vor deren Folgen, vor deren Rächung.
Thomas Sandkühler, einer der wenigen Autoren, die sich bis heute mit dem Thema Beitz auseinandergesetzt haben, zitiert ihn mit den Worten:
„Das war kein Anti-Faschismus, kein Widerstand, das hatte allein zu tun mit der menschlichen Einstellung. Wenn sie sehen, wie eine Frau mit einem Kind auf dem Arm erschossen wird, und sie haben selber ein Kind, dann haben sie eine ganz andere Reaktion.“
Und deutet diese zugleich:
„In diese Selbsteinschätzung ging die zweifellos zutreffende Beobachtung ein, dass systemsprengende Opposition humanitäres Engagement für verfolgte Juden eher erschwert, wenn nicht verhindert hat...“
Der Erfolg seines Handelns war bemerkenswert. Selbst seine Zeitgenossen bewunderten Beitz`s Durchsetzungsvermögen und Mut. Im Bewusstsein seiner Kriegwichtigen Senkung nutzte er seine Kompetenzen, auch innerhalb des eigenen Betriebs erschöpfend aus. Er ging sogar weit darüber hinaus, ohne Widerspruch zu erfahren. Er nutzte den Gegensatz der Ansprüche seitens der politischen Führung, einerseits die Juden vernichten zu wollen, andererseits nicht auf deren Arbeitseinsatz verzichten zu können. Jedoch setzten seine Initiativen ein, bevor er diesen Widerspruch für sich nutzen konnte.
Er ging auf Forderungen ein, z.B. die Selektion und Auslieferung von ungelernten Arbeitern, setzte diese aber später nicht um. Sein einziges bürokratisches Werkzeug war eine Anweisung des Oberkomandos des Heeres, zur Erdölförderung notwendige Arbeitskräfte freistellen zu lassen. Hilfreich war sicherlich auch, dass ihm gute Beziehungen zu Göbbels unterstellt wurden.
Seine Ausstrahlung, seine „arische Erscheinung“ und sein Durchsetzungsvermögen waren dabei sicherlich mittel zum Zweck. Aber er trug seine Überzeugungen unter Inkaufnahme größter Gefahr für seine Peron wie auch seine Familie in Private, im eigenen Haus galten die Gleichen Maßstäbe, die gleiche Risikobereitschaft und die gleiche Überzeugung.
Berthold Beitz kann sicherlich als Ausnahmeerscheinung seiner Zeit gesehen werden. Neben seiner bemerkenswerten Karriere unterschied ihn auch seine junges Alter von vielen im Generalgouvernement tätigen Deutschen, die vom Krieg zu profitieren gedachten.
Sein Handeln hatte sicherlich nicht die Auswirkungen, um dem nationalsozialistschen System an sich zu schaden oder es gar zu stürzen. Vielmehr widersetzte er sich in seiner Stellung innerhalb dieses Systems dessen Ansprüchen und Auswirkungen in seiner unmittelbaren Umgebung. Er nutzte die Widersprüche, Schwachstellen und Missstände des Systems, in das er zweifelsohne verflechtet war, und die Beziehungen zu den Personen, die es vertraten. Es gelang ihm, sich im Spannungsfeld zwischen denen mit seiner beruflichen Stellung verbundenen Aufgaben und Pflichten und seiner persönlichen Überzeugung ein Handlungsspielraum zu erkämpfen, der ihm erstaunliche Erfolge seines menschlichen Verhaltens ermöglichte. Angesichts der Radikalisierung war es ihm unmöglich, viele seiner von ihm zuvor Geschützten über das Kriegsende hinaus zu retten, wo immer sich aber eine Möglichkeit bot, nutzte er sie unter bewusst großem persönlichem Einsatz.
1973 wurde er als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet. Eine Ehrung der staatlichen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, die nur erschreckend wenig Deutschen zuteil wurde.
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