Das Märchen von Alemannia Aachen
Zweitligist durch Sieg im DFB-Pokal-Halbfinale saniert
Für Trainer Jörg Berger war es ein »Wunder«, für Präsident Horst Heinrichs ein »Märchen« und für die Fans und Spieler die längste Nacht des Jahres: Bis zum Morgengrauen verwandelten die Anhänger des Fußball-Zweitligisten Alemannia Aachen die Kaiserstadt in eine einzige Partymeile und feierten die Wiederauferstehung des Traditionsvereins.
Die Spieler bewiesen bis früh morgens Stehvermögen im »Cafe Madrid« im Aachener Studentenviertel und erschienen vollzählig, aber offensichtlich verkatert zum Auslaufen am Donnerstagmorgen.
Durch das 1:0 (1:0) gegen den Bundesligisten Borussia Mönchengladbach erreichten die Alemannen das Endspiel des DFB-Pokals am 29. Mai in Berlin. Im Falle der wahrscheinlichen Champions-League-Teilnahme von Endspielgegner Werder Bremen spielt der Vizemeister von 1969 sogar zum ersten Mal in der Vereingeschichte im UEFA-Cup.
Dadurch ist der Verein, der vor zwei Jahren sportlich und finanziell am Abgrund stand, mit einem Schlag saniert. »Das ist alles wie ein Märchen«, meinte Präsident Heinrichs: »Alle dicken Sachen und alles, was uns bedrückt hat, ist mit einem Mal weg.« Rund fünf Millionen nahm die Alemannia im Pokal ein, dazu winken Einnahmen aus dem Europapokal.
Auch Berger gab seine sonstige Zurückhaltung auf. »Vor eineinhalb Jahren wollte ich hinschmeißen. Heute bin ich froh, dass ich es nicht getan habe«, meinte der 59 Jahre alte Coach: »Denn was hier passiert ist, ist ein Wunder.« Der Ex-Kölner Ivica Grlic, der mit einem sehenswerten Freistoß in der 42. Minute das Tor des Tages erzielt hatte, sprach in der Euphorie das aus, was am Tivoli bis dahin auf dem Index stand: »Nun wollen wir auch unbedingt aufsteigen.« Das Pokal-Endspiel und der UEFA-Cup, in dem Aachen siebter deutscher Zweitligist der Geschichte wäre, sind demnach erst einmal hintenan gestellt.
Offen ist auch noch die Stadionfrage für den Europacup. Da der Tivoli die Sicherheitsbedingungen nicht erfüllt, sprach sich Heinrichs für einen Umzug ins nur zwölf Kilometer entfernte Kerkrade in den Niederlanden aus. Ausweichorte im Ausland genehmigt die UEFA aber nur bei akuten Sicherheitsbedenken. Alternativen sind nun Köln, Mönchengladbach oder Leverkusen.
Dass die Aachener am Mittwoch mächtig Glück hatten, spielte an diesem Abend eine Nebenrolle. »Wir hatten Riesenschwein«, bekannte Erik Meijer nach zwei elfmeterwürdigen Handspielen im Strafraum während der letzten acht Minuten: »Mir springt der Ball an die Hand, da brauch ich nicht zu lügen«, meinte Meijer offen: »Und warum der Schiedsrichter das Handspiel von George Mbwando nicht sieht, ist mir ein Rätsel.«
Gladbachs Sportdirektor Christian Hochstätter, der gemeinsam mit Trainer Holger Fach und den heutigen Aachenern Karlheinz Pflipsen und Bachirou Salo 1995 letztmals den Pokal an den Bökelberg holte, brachten diese Entscheidungen von Schiedsrichter Edgar Steinborn auf die Palme. »Das war kein Fußball, das war Volleyball«, meinte er: »Hier gehts um Millionen und um Arbeitsplätze, und wir verlieren durch so was, das ist eine Farce.«
Fach hatte für die Niederlage gegen seinen ersten Profitrainer Berger dagegen andere Gründe ausgemacht. »Man muss den Eindruck haben, dass wir nicht genug Kerle haben. Außerdem fehlen uns die spielerischen Mittel. Deshalb müssen wir in die Köpfe kriegen, dass es nur über 100 Prozent Einsatz geht, sonst haben wir es schwer im Abstiegskampf.«
In der Bundesliga steht der fünfmalige deutsche Meister nur dank der besseren Tordifferenz gegenüber Hannover 96 nicht auf einem Abstiegsplatz. Der Coach muss laut Vize-Präsident Rolf Königs aber noch nicht um seinen Job zittern: »Fach steht nicht zur Diskussion.«
Das Verhältnis vom Trainer zum Team ist jedoch nach permanenter Einzelkritik in der Öffentlichkeit angekratzt. Am Mittwoch tadelte Fach namentlich Bernd Korzynietz, Arie van Lent und Claus Reitmaier. Dem Torwart-Oldie war nach der Niederlage an seinem 40. Geburtstag aber ohnehin die Stimmung verhagelt: »Das war ein absoluter Scheiß-Geburtstag.«
Mit Material von sid
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