Nahtlos

Nahtlos mag in der Industrieproduktion wichtig sein, in Atomkraftwerken sind nahtlos geschweißte Kessel wahrscheinlich die-Methode-der-Wahl, aber am menschlichen Körper finde ich nahtlos totlangweilig.
Was nicht heißt, dass ich für kannibalische Zeremonien plädiere, um im Überlebens - und geglückten Reparaturfall irgendwelche Nähte zu bewundern - was ich meine, sind hübsche Farbkontraste, die ich jedem 'nahtlos' vorziehe.
Nicht käseweiß, knallrot oder schwarzbraun finde ich interessant, sondern ein Changieren z.B. zwischen hellem und dunklem Braun auf der Haut - ein Mensch in einem Badeslip, auf dessen Haut man auch noch die Spuren von Shorts sehen kann, wirkt auf mich viel erotischer als in einem gleichförmigen (eintönigen) Braun von Kopf bis Fuß.

Es ist raffinierter, lustvoller für mich, die Phantasie bekommt Futter, und sogar Zeit ist eingeschrieben in den Körper.

Nicht ganz ausgezogen wirkt der Körper ja auch erotischer; also bitte nie ganz nahtlos.
Schon eine kleine Narbe macht ja an. (Selbstverstümmelungen sind aber nicht nötig; dankeschön.)

Es ist eine ganz dünne Linie, die das Empfinden von Körpergeschichte(n) von dem des Verfalls trennt, und nicht nur prä- und postkoital. Ich habe gerade mal gezählt, ich komme bei mir auf genau zehn Narben, von 1 bis 40 Zentimeter, aber zehnmal so sexy fühle ich mich deshalb nicht. Zum Glück wächst der Brathähnchen-Bauch nach 35 Jahren langsam zu. Also mit Haaren. Denn für die Geschichte eines fremden Körpers interessieren die meisten Kerle sich allenfalls nach Abklang der Geilheit.

Wow, dachte sie sich. Er ist nahtlos braun gebrannt. Den gesamten Tag verbringt er splitternackt in der Sonne. Sein Schwanz ist für sie jederzeit erreichbar. Sie bräuchte nur zuzulangen, wenn sie gerade Lust darauf hat.

Wow, dachte er sich. Sie ist nahtlos braun gebrannt. Den gesamten Tag verbringt sie splitternackt in der Sonne. Ihre sonnengebräunten Brüste den ganzen Tag vor seinen Augen würden ihn in ständiger Erregung halten.