Versuch
Bewertung: 1 Punkt(e)So alt und fern meiner selbst habe ich mich noch nie gefühlt wie an diesem Nachmittag. Der Wagen vollgestopft mit exaltierten jungen Männern zwischen 17 und 25: T* mit neuer Flamme, ferner ein mir bis zum Schluss ununterscheidbar tuckiges Pärchen aus dem Ruhrgebiet und wie zum Futter für den Minotaurus, der ich nie zu werden beabsichtige, der jenseits des Passalters sehr unreife D*. Auf der Hinfahrt alle giggelig, die Unsicherheit kaschierend - die meisten hatten einander bis zu diesem Nachmittag noch nie gesehen - die leicht schlüpfrige Atmosphäre von mir noch aufgeheizt durch die Musikauswahl, Gaypop, für die meisten im Fond vorgeburtliche Erfahrungen. Die häusliche Orgie, wenn sie den Namen denn verdient hätte, verlief in gewohnter Eintönigkeit, doch nach einer halben Stunde etwa war ich an meine Grenzen gekommen, die Lust war in den Teppichflor eingerieben und ich mutierte zum leicht verdüsterten Zeremonienmeister, Getränke nachschenkend und die vermutlich etwas müden Augen zwischen dem obligaten Cadinot und den Wechselkonstellationen der Besuchergruppe wandernd. (Zwischendrin kurz an den Blaster und den einzugebenden Begriff 'Höflichkeitsmasturbation' gedacht.) Doch den finsterten Kommentar ließ ich halb unbewußt die Musikanlage liefern, die das krause Treiben fast eine Dreiviertelstunde lang mit Jethro Tulls 'Thick as a brick' illustrierte: »...what do you do when the old man's gone—do you want to be him? And your real self sings the song. Do you want to free him?« Anschließend fütterte ich die selbsterregte Entourage noch in einem Grillhaus ab und verabschiedete mich vor der Zeit unter Hinweis auf fiktive Termine des heutigen Tages. Es war ein Versuch in Leben, mehr nicht.