Trauergäste
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Der Pfarrer stand vor dem Grab und sprach die letzten nichts sagenden Worte.
Es war ein Trost, dass vor dem Herrn alle gleich waren. Im Tod das letzte Privileg.
Tulipe stand im Mittelfeld der Trauergemeinde. Die Scheinheiligkeit erweichte ihre Knie wie Kaugummi an einem Weihrauchkessel. Doch die Wut über die Mystifizierung schoss ihr wie das Riechsalz kurz vor der Ohnmacht durch die Nasenöffnung direkt in den Neo Cortex. Ihre Blässe und ihre gekrümmte Körperhaltung gaben ein korrektes Bild der Kondolenz.
In diesem Schlachtfeld, wie ein Chamäleon hatte sie die Front zu stürmen. Die Beileidsmitteilungen und das endlose Händeschütteln glichen einer Kirmesattraktion.
Heute konnte man sich gratis an den Watschenmann auslassen. Drei waren aufgestellt, in Reih’ und Glied. Die Nächsten. Familienangehörige.
149 Hände nahmen sie in Trance entgegen. Hände, die als Transportmittel dienten Deinleid zu Meinleid zu bringen und Ihrleid in Unserleid zu verwandeln. Körper aus Blut, Schleim und Plasma verflüssigten sich bis nur mehr Leere übrig blieb. Drei ausgezehrte Figuren, denen der Saft herausgepresst worden war.
Tulipe dachte an Champagner. Dem prickelnden Leben in einem Gefäß, welches wenn man es schüttelte explosive Kräfte entwickelte. Und einer Auster, die mit einem Spritzer der Säure einer Zitrone ihre letzten Zuckungen machte, bevor sie in einem dunklen Schlund verschwand.
Es war glitschig und roch nach Kanal.
Das Leben.
Der Tod.