Szenenapplaus
Bewertung: 3 Punkt(e)
Über das Klatschen
Auf der Bühne steht PJ Harvey und singt gerade Good Fortune als das Publikum langsam mit dem rhythmischen Klatschen beginnt. Ich bin ziemlich weit vorne, um dieser Frau ganz nah zu sein, die ich schon so lange wegen ihrer hervorragenden Songs verehre. Hinter mir baut es sich immer mächtiger auf. Eine Wand, die immer die 1 und die 3 des Vier-Viertel-Taktes betont. Ich stehe zwischen diesen Menschen und halte die Arme ganz dicht am Körper. Wenn es nicht so laut wäre und ich mich überhaupt trauen würde, würde ich mich umdrehen, der Klatschmasse in die Augen sehen und fragen, wie blöd man eigentlich sein kann. Da steht unser aller Idol auf der Bühne und sie zerstören die Atmosphäre mit ihrer bescheuerten Rhythmusver-stärkung. Würde ich meine Fantasie ganz von den Zügeln befreien, könnte ich mich sicherlich mit einer Axt durch die Reihen laufen und jedem mindestens eine Hand abhacken sehen. Banausen! Warum warten sie nicht bis dieser wunderschöne Song zu Ende ist und beginnen dann zu toben?
Der Song und der Rhythmus der Masse ist zu Ende und ich fange als einziger an zu applaudieren.
Als ich den Konzertsaal verlasse und in einige Gesichter schaue, stelle ich mir vor, wie sie in 40 Jahren auf einer knackenden Holzbank in einem riesigen Zelt in Ulm sitzen und Karl Moiks Musikantenstadl zuklatschen. Auch wenn die gichtigen Finger schmerzen, für den Mros und seine Stefanie muss immer kräftig weitergeklatscht werden. Karl Moik steht ja auch am Rand und macht es vor.
Wenn die Kamera durch die Reihen fährt und die Glückseligkeit auch zu Mutti nach Hause bringt, sieht man in der Masse immer wieder Einzelne, die sich dem Diktat nicht beugen wollen. Nicht dass sie nicht klatschen würden, das käme ja einem Sakrileg gleich, nein, ihr subversiver Beitrag ist das Daszwischen-Klatschen. Während alle anderen die 1 und die 3 betonen, klatschen sie auf der 2 und der 4. Ich bewundere diese mutigen Revolutionäre. Ilse und Heinz, die neben einem dieser Aus-der-Reihe-tanzenden sitzen, denken sich, der müsste aber mal zu einer Schulung. So kommt ein bisschen Reichsparteitagsstimmung auf. Hat sich vielleicht hier die Opposition unters treue Volk gemischt?
Wenn ich könnte, würde ich ihnen zurufen (obwohl ja meine Sympathie eigentlich den Revolutionären gehört): „Schickt ihn doch in eine Spielshow, da wird er mal or-dentlich klatschen lernen!“
Wer in der Quiz Show mit Jörg Pilawa sitzen darf, der hat ein TÜV-Aufkleber auf der Stirn. Er kann sich dann zu total improvisierten Jubelschreien hinreißen lassen, die vom wildesten Klatschen begleitet werden. Und nach jeder richtig beantworten Frage wird er mit allen anderen Geprüften in perfektem Synchronismus ein Klatschen ablie-fern. Dieses Klatschen klingt wie ein Sample, was aus dem Regieraum mittels eines kleinen Knopfes abgerufen werden kann. Es klingt zwar so, aber die Einheizer haben nur verdammt gute Arbeit geleistet.
Schmittchen, der das Warm-Up in der Harald Schmidt Show gestaltet, hat eine abso-lut sinnlose Arbeit. Als ich meinen Platz in dem sehr kalten Studio eingenommen ha-be und auf den Meister warte, gibt es eine große Ankündigung, Harald Schmidt wür-de jetzt auf die Bühne kommen. Dann kommt er natürlich nicht, sondern nur dieser komische Schmittchen und übt das Ausrasten mit dem Publikum. Man solle doch bitte total aus dem Häuschen sein, wenn sich die Showschiebetüren öffnen und Ha-rald Schmidt die Bühne betritt. Ich blicke mich um und schaue nur in verständnislose Gesichter. „Na was denkst Du denn, warum wir hier sind?“, lese ich in jedem Gesicht. Trotzdem üben wir alle brav das Ausflippen und lassen uns noch belehren, doch bitte die Handys abzuschalten und so weiter. Bevor die Aufzeichnung beginnt, macht Schmidt noch einer kurzen Auftritt exklusiv für das Publikum im Studio und ver-schwindet hinter der Wand.
Madame Nathalie haucht ihre Ansage, die Band brettert los (im Studio spielen sie so laut und kraftvoll, dass man glaubt, man wäre auf einem Konzert) und dann öffnen sich die Schiebetüren. Harald Schmidt betritt die Bühne und alle klatschen und jubeln los. Das Training ist da schon wieder vergessen.
Wer glaubt denn, man braucht Klatschtraining? Geklatscht wird, wenn es angebracht ist und damit BASTA!