Seminar
Bewertung: 5 Punkt(e)Neben meiner Schule gab es ein Gebäude, welches höchstoffiziell immer das Seminar genannt wurde, ein Flachbau mit innenklofarbigen Kacheln und schweren Gardinen vor den Fenstern. Aber nicht nur die Gardinen verbargen, was hinter den Türen stattfand, auch sah ich niemals jemanden das Haus betreten oder verlassen, was um die Festung einen Schleier des Geheimnisses legte. Unbewohnt konnte es nicht sein, dafür waren die Gardinen jahrelang konstant zu ordentlich drapiert und gepflegt. Seminar klang natürlich wichtig, auch wenn ich keinen Begriff davon hatte, was seine Funktion sein könnte. Ich hielt es aber immer für ein zentrales Steuerungsorgan der Schule, dem man besser nicht zu nahe kam und nach dem man keine unnötigen Fragen stellte. Das hat sich erst geändert, als ein neuer Lehrer täglich vor dem Haus auf dem Schulhof parkte, mit seinem lächerlich kleinen Cabrio, auf dessen Rücksitz oft diejenigen Teile der Tennisausrüstung für seinen Feierabend zu sehen waren, mit denen er nicht schon im Unterricht bekleidet war. Das Cabrio eines tennisspielenden Lehrers vor dem sagenumwobenem und Unbehagen erzeugendem Seminar: das war unverträglich. Da warf ich eine Appelgripsche vor die Seminarwand und brach für immer den Bann des Unheimlichen.