Pipapo
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Birne macht Reklame
Reklame ist etwas, an das alle Menschen gewöhnt sind. Sie fangen nicht an zu lachen, wenn auf dem Fernsehschirm gezeigt wird, daß Vanilleeis gut schmeckt, obwohl Schokoladeneis viel besser schmeckt. Die Eisschränke würden hundert Jahre Eis produzieren, behauptet die Reklame. Seife schäume, daß man mit dem Fahrrad durch die Schaumberge fahren könne. Büstenhalter seien so haltbar, daß sie nicht einmal Ratten auffressen könnten. Dosenmilch rinne aus wunderschönen Kühen, obwohl jeder weiß, daß Mehl in die Sahne gerührt wird, um sie dick zu machen. Und das Zigarettenmännchen beruhigt sich erst, wenn es eine Zigarette erhält. Wer raucht, bekommt jedoch einen schlechten Magen und dünnes Blut und einen stinkenden Mund und schwitzt und rast in der Gegend rum, genau wie das Zigarettenmännchen. In Wirklichkeit regen Zigaretten auf. Leicht zu begreifen, sobald man sich vorstellt, daß man nie mehr etwas trinken müßte, wenn man viel Suppe essen würde. Ißt man aber Suppe, kann man trotzdem noch trinken. Reklame lügt also.
Nachts rast Birne über die Stadt hin und her und zeichnet eine gelbe Schrift an den Himmel. Sie heißt: PIPI TRINKEN!
Die Leute in der Stadt sehen die Schrift zuerst nicht, nur ein Lastwagenfahrer entdeckt sie, weil er gerade rückwärts an eine Wand gefahren ist und aus dem Führerhaus steigt, um nachzusehen, wieviel an seinem Lastzug kaputt ist. Pipi trinken, überlegt er, Pipi? Ich will Bier trinken, den Ärger herunterspülen. Er fährt seinen Lastwagen, der nur ein paar Schrammen und ein zerbrochenes Rücklicht hat, auf einen Parkplatz und geht in die nächste Kneipe. Er möchte ein Pipi, sagt er, ein Pipi. Er sagt nicht, ein Bier, meint es aber.
»Wir haben kein Pipi«, sagt der Wirt.
»Was, Sie haben kein Bier«, sagt der Lastwagenfahrer.
»Sie sagten Pipi«, sagt der Wirt.
»Ich sagte Pipi und Pipi meine ich«, sagt der Lastwagenfahrer. »Nein, Bier sagte ich und Bier meine ich! Nein, Bier! Nein, Pipi!«
»Schweinerei«, schreit der Wirt. »Brauereien machen Bier, Pipi machen Sie selber. Raus mit Ihnen!«
»Wer mich anrührt, kriegt eine gescheuert«, schreit der Lastwagenfahrer. »Ich trinke, was ich will! Pipi und Bier, nein nur Bier, nein nur Pipi. Ich trinke überhaupt nichts mehr.«
Er läuft aus der Kneipe. Auf der Straße bleibt er stehen und blickt nach oben. Am Himmel steht immer noch PIPI TRINKEN. Der Lastwagenfahrer stürzt wieder in die Kneipe und ruft, er wolle endgültig Pipi, das sei ein neues Getränk, am Himmel stehe es geschrieben. Die Gäste rennen aus der Kneipe und lesen den Reklamespruch, der über ihnen leuchtet. Pipi kann man nicht trinken, rufen sie, doch wenn es am Himmel steht, muß es doch möglich sein?
»Ich habe nur Bier«, schreit der Wirt verzweifelt, »ich habe kein Pipi von der Brauerei!«
»Wir wollen aber Pipi«, sagen die Gäste und rufen, »Pipi, Pipi, Pipi!«
»Macht euer Pipi allein«, sagt der Wirt. Er geht auf den Abort und schließt sich ein.
Birne hat gemerkt, daß in der Stadt unten nicht nur der Lastwagenfahrer Pipi trinken möchte, sondern auch andere Leute. Niemand weiß mehr genau, ob man nun Pipi trinken kann oder nicht. Nur die Kinder wissen es. Sie sagen, natürlich könne man Pipi trinken, es schmecke salzig und bitter. Die Erwachsenen würden sich nur nicht trauen, es zu versuchen, sonst wüßten sie schon lange, daß es nicht gut schmeckt.
Birne malt in Rot eine neue Schrift in den Himmel. Sie heißt: POPO MALEN. Birne rast wie ein Düsenjäger im Kreis und muß, damit die Buchstaben stehenbleiben, ständig weiterfliegen. Wenn sie aufhört, erlischt die Schrift, nur noch ein Punkt bleibt übrig, nämlich Birne selbst. Popo malen, Popo malen, überlegen viele und starren zum Himmel.
»Hosen runter«, rufen die Kinder.
»Wieso Hosen runter«, fragen die Erwachsenen.
»Hosen ausziehen und Wasserfarben her«, rufen die Kinder. Sie malen sich gegenseitig Streifen auf die Popos, Kringel und Flecken. Dann gehen sie durch die Straßen und zeigen sich gegenseitig ihre Gemälde. »Wenn wir uns schon nicht trauen, Pipi zu trinken, wollen wir wenigstens auf Popos malen«, flüstern die Erwachsenen.
Und tatsächlich, in dieser Nacht gehen viele Erwachsene mit heruntergelassenen Hosen und bemalten Popos durch die Stadt und trinken gelbe Säfte wie Ananassaft und Zitronensaft, denn Pipi schmeckt wirklich schlecht. Birne aber malt einen neuen Reklamespruch an den Himmel. Er heißt: PIPAPO.
Aus: Günter Herburger, Birne kann noch mehr; S. 33 ff.
Luchterhand Verlag 1971