So lag sie da, in schwarzen Samt gekleidet, die dunklen Haare im Nacken zusammengebunden. Die leblosen Lippen waren dunkelviolett geschminkt, wie sie es vor ihrem Tod zu tun pflegte. Das hatte ihre Schwester veranlasst.
Es ist seltsam. Sie war so schön, wie sie dalag in dem Eichensarg. Kalt sicher und schon steif, die Haut so weiß, wirklich beinahe wie Schnee. Jedoch ihr Körper verseucht von diesem Gas.
Ein Band aus Rosen, das sich an den Konturen ihres Körpers entlang schlängelte, als letzter Gruß, der sie ins Reich der Toten begleiten sollte, neben dem Kreuz, welches auf ihrer Brust lag und gegen dessen Bedeutung sie sich jetzt nicht mehr wehren konnte. Am Kopfende des Sarges waren Kerzen aufgestellt, dicke weiße Kerzen, die lange nicht für die erste Tote leuchteten.
So lag sie da. Wartend auf die Trauergesellschaft, die heute ihr zu Ehren den ersten Rosenkranz abgehalten hatte. Noch zwei weitere sollten folgen, der Dritte vor dem Begräbnis.
Ihr Geist hatte sich weit von ihrem Körper, dem Ungehorsamen, entfernt. Enttäuscht, wütend, hilflos, verzweifelt, traurig, voller Angst darüber, dass sie sich nicht zu erkennen geben konnte als Lebende. Beinahe verrückt, umhüllt von tausend Nebeln und von diesem Duft, der vertraut ist und einem gleichzeitig Schauer über den Rücken jagt. Nach Kerzenrauch, der in allen Fasern zu hängen scheint, nach kaltem Weihwasser, ein wenig nach Weihrauch. Schwebend machend. Wie dieser Duft, so fühlte sie sich. Aufgelöst in der Luft. Sie versuchte sich an vergangene Dinge zu erinnern, wie sie am Strand entlang gegangen war, barfuss. Das wöllte sie jetzt tun.
War alles hier nur ein Alptraum? Ihre Augen öffneten sich nicht.
Leise drehte sich ein Schlüssel in der Tür der Leichenhalle, doch laut durchbrach er die stehende Stille in dem geschlossenen Raum. Ihre Familie? Nein. Nur eine Person, die näher trat. Schritte, Atem, eine Ewigkeit. Schluchzen. Dann Worte. Er war es. Vielleicht die Liebe ihres Lebens, ihr wurde keine Zeit gegeben, es herauszufinden. Langsam kam sie etwas zu sich. Hörte seine Stimme und was er sagte hätte sie in einer anderen Situation zu Freudentränen gerührt. Doch dies war ihre Chance. Sie musste es schaffen, eine winzigkleine Bewegung nur, ein Laut, bitte! Flehen an alle Götter, die ihr in den Sinn kamen, am Meisten an sich selbst. Und sie schaffte es. Mit der höchsten Kraft der Verzweiflung bewegte sie ihren kleine Finger. Er musste es doch sehen, verdammt.
Er sah es nicht. Kurze Zeit später schloss sich die Tür wieder, hinter ihm. Sie war allein. Erschöpft. Tod-müde. Diese kleine Geste hatte sie all ihre Energie gekostet. Bald würde sie lebendig begraben werden, als gesunder Geist in einem toten Körper. Ohnmacht überkam sie und plötzlich war sie am Strand, spürte die frische Luft und den feinen Sand unter ihren nackten Füßen. Ohne das sie es bemerkte, rannen kalte Tränen über die Wangen ihres so fremd gewordenen Körpers und tropften auf die Rosen, die ihr Gesicht einrahmten.
Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Sie konnte sich nicht entsinnen. Gedämpfte Geräusche drangen an ihr Ohr. Ein Murmeln von weit weg und doch so nah. Wie durch Holz.
Panik überkam sie. Sie wollte schreien und strampeln, doch ihre Lähmung war stärker als je zuvor. Ihrer leblosen Hülle war nicht das geringste anzumerken von dem grausamen Kampf, den der angsterfüllte, aufgewühlte Geist mit ihr focht.
So lag sie da. Schwach nahm sie die Musik wahr, die inzwischen eingesetzt hatte, die schaukelnden Bewegungen des Sarges, als sechs Männer sie zum Grabe trugen und hinunterließen ins kalte Erdreich, die letzten Worte des Priesters, die Weihwassertropfen und Blumen, die beinahe in gleichmäßigen Abständen auf den Sarg fielen. Die Luft, die knapper wurde.
Ruhe.
Als die Totengräber kamen um ihre letzte Ruhestätte wieder mit Erde aufzufüllen, hatte sie bereits aufgegeben. Im Dämmerzustand begann sie die Erdklumpen zu zählen, die über ihr prasselten. Und noch bevor der letzte Ton erklungen war, den sie hätte wahrnehmen können, befand sie sich wieder am Strand. Es war Nacht geworden und kalt, doch sie fror nicht. Langsam verblassten am Himmel die Sterne und nahmen das letzte Licht mit sich um auch diese Welt in Dunkelheit zurückzulassen.
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