Fataler Zufall, daß ich auf meinen planlosen Gängen durch die City ausgerechnet an jenem stadtbekannten Geschäft für Berufs– und Arbeitsbekleidung vorbeikam, das mich schon seit Kindesbeinen in seinen Bann zieht: Einem Völkerkundemuseum gleich stehen in den zahlreichen Schaufenstern Zimmermänner und Köche, Maurer und Krankenschwestern in Gestalt ihrer Monturen, zugleich jedoch ist dieses Geschäft auch eine unverächtliche Quelle für konventionelle Jeans und Hemden des etwas bärigeren Typs. Ein neues Dockers–Jeansmodell im Schaufenster erregte meine Aufmerksamkeit; wenn bald die Hunde mit ihren unzähligen weißen Härchen und (zumindest der Beagle) dem unwiderstehlichen Drang zu Schlamm und Matsch zurückkehren, werde ich wieder reichlich Garderobe zum Wechseln brauchen, und gerade Schwarz war - unerklärlicherweise, wenn ich mich heute so betrachte - lange Zeit alles andere als eine Lieblingsfarbe von mir gewesen. Ich betrat das Geschäft, probierte die Hose an, die mir zu meiner Erleichterung in der unverfänglichen Größe 34/34 nahezu perfekt passte; irgendwann gewöhne ich mir das Essen schon wieder an, dann füllt sich der faustdicke Spalt zwischen Bauch und Bund. Aber was dann, gar nicht so sehr in der Endsumme (die Kleidung dort ist ja mehrenteils für den gleichsam achtlosen, jedoch ausdauernden Gebrauch gefertigt) als in der Fülle der aufgetürmten Käufe folgte, läßt sich vielleicht weniger durch einen lang aufgestauten Kauf– oder Selbstinszenierungsimpuls als durch die schockhafte Situation der Trauerzeit erklären, ähnlich jener unter dem Stichwort 'Gelbkörperhormon' geschilderten Dame, die in der Schwangerschaft heftigste Colani–Phasen durchlitt. Zunächst stand ich noch, es war ohnehin kurz vor Ladenschluß, bereits bezahlwillig an der Theke, da fiel mein Blick auf einen Doppelpack schwarzer T-Shirts mit V–Ausschnitt. Ich hatte derzeit nur Rundausschnitte, also mitgenommen. Leider standen direkt dabei die Hosenträger... Das ist nun so: Mein Lebtag lang soll kein unabgewogen schlechtes Wort über Konrad von mir zu hören sein, doch meine Beobachtungen haben mir gezeigt, daß ich für ihn stets ein unverdorbener 22jähriger Junge geblieben bin, im Prinzip war ich ja damals für ihn schon etwa 5 Jahre zu alt... Jedenfalls hat Konrad mir zwar niemals Steine in den Weg gelegt, wenn es um einen meiner schrulligen künstlerischen oder einfach nur freizeitplanerischen Lebensentwürfe ging, aber meinen sehnlichen Wunsch, endlich eben keine kurzen Hosen mehr tragen zu brauchen, und sei es auch nur im übertragenen Sinne, dies und meine ewige Hingezogenheit zu einer eher übermaskulinen als knabenhaften Erotik haben niemals seine Zustimmung oder Unterstützung gefunden. Keine Nippelpiercing und keine breiten Hosenträger für meinen Spatz, keine brettsteifen Lederjacken und kein liebender Nackenbiss; Konrads Sexualität war eine, die in jedem Reisenecessaire Platz gehabt hätte. Und so wie ich kurz vor diesem Gang in die Stadt das Gefühl gehabt hatte, der erste Katarakt meiner Tränen sei nun allmählich abgeflossen, genauso lebensdurstig und kontrolliert durchmaß ich nun beide Stockwerke des lange gemiedenen Mode– nein, Bekleidungshauses und der nacheilende Verkäufer schichtete dienstfertig bemüht Stück auf Stück, zwei Paar Hosenträger (eins schwarz, das andere dunkeloliv, für die Halbtrauer) das eine oder andere Karohemd, mehrenteils mit dunkelster Grundierung, doch auch ein geradezu fröhliches in einem warmen Uringelb ist darunter, kurz entschlossen packte ich auch eine zweite identische Dockers hinterher, die Ziegenlederhosen mied ich nur wegen ihrer mangelhaften Verarbeitung, doch morgen ist auch noch ein Tag und gerade das flache Düsseldorf hat der Geschäfte viele. Wobei der heutige Einkauf gewissermaßen eine Alltagsseite meines neuen Lebens darstellen wird. Für die Feste werde ich, so denke ich mal, irgendwann nach Köln zu einem dieser peinlichen schwulen Lederschneider fahren. Ich sehe es ja schon kommen, das mit den Häutungen ist noch nicht vorbei, wird bei einem Menschen von meiner schlangenhaften Disposition vielleicht nie zum Stillstand gelangen; wieder werde ich scheitern, mich blamieren, Lehrzeiten durchlaufen, Krisen durchleben, in zu kleinen, zu großen, zu mutigen und zu schüchternen Flicken herumlaufen, Grenzen ausloten, mich finden müssen. Dabei wollte ich mich eigentlich immer nur finden lassen. Wollte ich das? In der Rückschau würde ich sagen, es war viel unbewusste Entscheidung in meinem Tun verborgen. Unter all den Männern, die ich gleichsam als Testlauf erprobt habe, ist nur ein einziger gewesen, dem ich eine zweite Chance gegeben habe. Die hat dann 18 Jahre Bestand gehabt. Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Ganz am Ende meines Shoppingrausches, einen Zimmermannsgürtel vor Schluß, nahm ich dann noch meinen letzten Mut zusammen - dabei dürfte wohl längst jedem sensiblen Verkäufer klar gewesen sein, daß dieser nicht mehr ganz junge Mann mit Faible für Schwarz keinen Kohlenkeller auszubauen gedachte - und fragte nach Arbeitsschuhen. »Wir haben allerdings zur Zeit nur sehr einfache mit Stahlkappen«, erwiderte der Verkäufer. »Mein Tip wäre ja - haben sie Internet?« Ich nickte wie verstohlen und fragte nicht weiter. Vielleicht ist es eine gute Idee, die nächsten Wochen lang mal einige Spaziergänge über mir lange verkniffene www-Seiten zu genehmigen. Einfach zur Stilberatung, gewissermaßen. Ich glaube nicht, daß ich in fünf Jahren oder so noch allzuviel Ähnlichkeit mit dem traurigen Bündel Mattigkeit haben werde, das diese zu lang geratenen Zeilen geschrieben hat, aber was Konrad und vielleicht auch ich zu seinen Lebzeiten nicht für möglich gehalten hätten: Inzwischen weiß ich, daß er mich in jeder Gestalt erkennen würde. Notfalls eben auch mit einem Harnisch über dem Gesicht. Wie steif ist der Schaft deines Nackens.
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