«Liebe Rosine!» sagte Sylvester, indem er sie bei der Hand nahm, und konnte kein Wort weiter herausbringen, so voll war ihm das Herz.
«Ich merke schon lange», sagte Rosine, nach einer ziemlichen Pause, mit leiserer Stimme, «daß du mir gut bist, Sylvester.»
«Daß ich dir gut bin, Rosine? Was in der Welt wollt' ich nicht für dich tun und für dich leiden, um dir zu zeigen, wie gut ich dir bin!» rief Sylvester und drückte ihr die Hand stark genug an sein Herz, daß sie sein Schlagen fühlen konnte.
«So ist mir's auch», versetzte Rosine, «aber...»
«Aber was? Warum dies Aber, wenn ich dir nicht zuwider bin, wie du sagst?»
«Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll, Sylvester: ich bin dir herzlich gut; ich wollte lieber dein sein, als die vornehmste Frau in der Welt heißen - aber mir ist, es werde nicht angehen können.»
«Und warum sollte es nicht angehen können, da wir uns beide gut sind?»
«Weil es - eine gar besondere Sache mit mir ist», sagte Rosine stockend.
«Wieso, Rosine?» fragte Sylvester, indem er ihre Hand erschrocken fahrenließ.
«Du wirst mir's nicht glauben, wenn ich dir's sage.»
«Ich will dir alles glauben, liebe Rosine, rede nur!»
«Ich bin nur zwei Tage, eh' ich dich zum ersten Male sah, eine - rosenfarbne Ziege gewesen.»
«Eine rosenfarbne Ziege? Doch wenn's nichts weiter ist als dies, so haben wir einander nichts vorzuwerfen, liebes Mädchen; denn um eben dieselbe Zeit war ich, mit Respekt, ein Esel.»
Wieland, 'Der Stein der Weisen' in: Dschinnistan
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