Alles wird gut
So schweben sie dahin. Groteske Bären. Menschen in brauner Einheitskluft mit geschlossenen Augen. Artgenossen in roten Pullovern, ihres Unterleibs beraubt, argwöhnisch beobachtet von zwei Krankenschwestern und einem weiteren Bären. Im Innencover noch mehr Bären, mit angsteinflößenden Köpfen von anderem Getier, untertitelt mit den Namen der Bandmitglieder. Was sich der Künstler Marcel Dzama bei diesem Artwork gedacht hat? Was all das zu bedeuten hat? Das weiß keiner außer ihm. Und den Weakerthans vielleicht. Die Kanadier lieben es, mit Mehrdeutigkeiten zu spielen, Rätsel aufzugeben, das Gehirn anzustrengen. Musik ist mehr als Berieselung, Texte sind mehr als Verbindungsglieder zwischen den Akkorden. Die Weakerthans wollen uns helfen, uns verhelfen. Zu einem besseren Leben. Einem hoffnungsvolleren Dasein. Oder zumindest zu unvergleichlichen Momenten.
Wie schon auf dem unglaublich intensiven Vorgänger »Left and leaving« finden sich derartige Momente auch auf dem dritten Album der Kanadier zuhauf. Songs, die so einmalig sind, daß keine andere Band der Welt sie so oder auch nur so ähnlich vollbringen könnte und für die man die Weakerthans vom Fleck weg umarmen möchte. Und weil das nicht geht, schnappt man sich eben die CD mit dem seltsamen Artwork vom Tisch, umschließt sie mit seinen Armen und drückt sie ganz fest an sich. Bei dieser Band ist alles mehr als Mittel zum Selbstzweck. Sie wollen oder müssen sich nicht mehr beweisen. Für sie ist es das größte Geschenk, unsere Herzen höher schlagen zu lassen.
Und das Beste ist: Es funktioniert. 14 Songs lang alles, was ebenjenes Herz begehrt. Und mehr. Swingende Country-Songs wie »A new name for everything«, bei denen man in Gedanken die Barhocker und die Cowboyhüte wackeln sieht. Straighte Rocker wie »Our retired explorer«. Die minimalistische Haßliebeserklärung an die Heimat »One great city!« Und Sehnsüchteleien wie »Psalm for the elks lodge last call« oder »Time's arrow«, bei denen die literarischen Einflüsse des Teilzeit-Verlagshauschef John K. Samson am deutlichsten durchscheinen. Eigentlich wäre das Textbuch alleine eh schon den Kauf von »Reconstruction site« wert.
Ein winziger Song namens »(Manifest)« eröffnet ein Album, das eigentlich genau diesen Titel tragen sollte. Samson gelobt Treue mit den Worten »If I'm permitted one act I can save / I choose to sit here next to you and wave«, bevor eine abschließende Tute wehmütig losheult und dennoch Zuversicht verbreitet. Auch sonst wimmelt es nur so vor hübschen Ideen auf »Reconstruction site«. Einfällen wie »Plea from a cat named Virtute«, das aus dem Blickwinkel eines Kätzchens verfaßt ist. Oder dem unwiderstehlich schunkelnden Titelsong, der wie eine Biographie der skurrilsten Momente eines langen Lebens wirkt.
Die Weakerthans machen sprachlos. Es ist schwer zu begreifen, wie die Polit-Attitüde des Punk, die Catchiness des Pop, die Verspieltheit des Country und die Intelligenz eines Einstein auf einer einzigen Platte, in einer einzigen Band Platz finden. Und wie John K. Samson mit seiner niedlichen Chipmunks-Gedächtnispreis-Stimme all die Songs in Geschenkpapier einwickelt. Man muß sie nur vorsichtig auspacken. Acht geben, daß nichts kaputt geht. Und findet darin Freunde wie »Uncorrected proofs« oder den Titelsong, die einem ein Leben lang treu bleiben. Man weiß plötzlich, worum es geht. Um Wiedererkennung. Und um neue Horizonte. Die Weakerthans entdecken Seiten, von denen man nicht einmal gewußt hatte, daß sie existieren. Man kann nicht anders, als den Weakerthans ihre eigenen Worte entgegenzuschreien: I'm so glad that you exist!
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