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martin schrieb am 15.8. 2002 um 17:27:05 Uhr über

Mittelfinger

Der Ethikrat

Philosophische Hilfestellungen für Stefan Effenberg, Selbstverwirklicher


Von Wilhelm Schmid



Seit Stefan Effenberg der deutschen Fankurve den Stinkefinger zeigte, gilt der inzwischen ehemalige FC-Bayern-Star als Rebell. Nun hat »Effe« auch noch seine Ehefrau sitzen lassen, zugunsten von Claudia, bis dahin Gattin seines Kumpels und Teamkollegen Thomas Strunz. Der Ethikrat erkennt in derlei Verhalten ein Sinnbild der Moderne - und hätte Effe dennoch eine Alternative anzubieten.
So sieht also einer aus, der seinen eigenen Weg geht, ein »Nonkonformist«: Wenn es darauf ankommt, wird er ganz konform und spielt das Spiel, das viele spielen. Nicht weil er, recht gesittet, nach 13 Jahren Ehe die Neue gleich seinen Eltern vorstellt. Vielmehr, weil da einer brav und angepasst dem Schema folgt, das die gesamte Moderne in stets wachsendem Maße prägt: dem Grundmuster der als »Befreiung« verstandenen Freiheit.

Bereitwillig unterwirft sich der Nonkonformist den Vorgaben, die er als solche nicht durchschaut, und macht sich zum bloßen Vollzugsorgan eines Programms, das er nicht selbst geschrieben hat. Die Befreiung ist ein modernes Projekt und hat im Laufe der Zeit umfassende Bedeutung gewonnen: religiöse, politische, gesellschaftliche Befreiung. Erfahrbar wird sie jedoch vor allem im individuellen Lebensvollzug: frei zu werden von lästigen Bindungen, frei zur Selbstverwirklichung, den »wahren Gefühlen« folgend, als ginge es um das Heil. Das Ziel: das größte Glück, verstanden als Maximierung von Lust, wenigstens für das eigene Ich; der Freund mag sein Glück anderweitig selbst finden.


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Lange Zeit fand die Befreiung ihren Sinn darin, mit überkommenen Konventionen zu brechen, daher ihr Ruf als Nonkonformismus. Mittlerweile wird sie jedoch selbst zur Tradition, sodass bei manchen das Bedürfnis wächst, sich von der Befreiung zu befreien - ein neuer Nonkonformismus? Das moderne Individuum trägt den emphatischen Freiheitsanspruch vor sich her und kommt damit nicht zurecht. Vollkommen befreit, bemerkt es, dass es mit sich allein nicht recht leben kann, und folgt seiner neuerlichen Sehnsucht nach Bindung, nach der innigen Gemeinschaft, nur um die Erfahrung zu machen, dass die ihm zu wenig Freiheit erlaubt und es sich von dieser Bindung befreien muss: ein Schaukelspiel zwischen Befreiung und Bindung. Diese Erfahrung der Zerrissenheit, die ihren Ausdruck in der Scheidungsquote findet, resultiert aus dem strukturellen Problem moderner Freiheit, das Maß der Selbstverwirklichung an den Grad des Befreitseins zu koppeln - bis das Selbst mit seiner Freiheit allein ist, die sich in ihrer Sinnlosigkeit selbst zerstört. Wichtiger als die Selbstverwirklichung wäre die andere Seite der Freiheit, das Erlangen von Selbstmächtigkeit: nicht nur sich zu befreien (negative Freiheit), sondern der Freiheit Formen zu geben (positive Freiheit), Bindungen einzugehen und an ihnen festzuhalten, eine Selbstbegrenzung der Freiheit - aus Freiheit. Zugegeben, das wäre nicht mehr gänzlich modern, allerdings auch nicht antimodern, vielmehr anders modern: den Anspruch der Freiheit zu bewahren, jedoch nicht alles zu tun, was man tun könnte; eine gewisse Macht über sich zu gewinnen, um manches auch mal lassen zu können. Man kann den Mittelfinger hochhalten, man kann jedoch auch darauf verzichten. Man kann den »wahren Gefühlen« folgen, man kann aber auch die Finger davon lassen. Nicht etwa aus »Selbstbeherrschung«, die zu diktatorisch wäre; aber muss die Alternative dazu wirklich die Selbstbeliebigkeit sein? Stattdessen Selbstmächtigkeit, eine angeeignete Disziplin, eine Potenz im Umgang mit sich selbst; in manchen Situationen, etwa angesichts einer Versuchung, gelegentlich sogar eine Tapferkeit. Kopf statt Bauch, um nicht immer nur Sklave seiner Gefühle zu sein. Etwas anstrengend, nicht sehr populär, kein Stoff für bunte Magazine - nonkonformistisch eben.




Etwas Bemerkenswertes im vorliegenden Fall wollen wir nicht übersehen: Es gibt also, entgegen allen Unkenrufen, doch ein Leben nach dem FC Bayern. Schade, wenn andere dafür zahlen müssen. Aber keine Sorge, die Rollen in diesem Spiel werden rasch gewechselt.


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