Ein Ausschnitt aus einem Artikel der heutigen SZ sei vorausgeschickt:
"Mit einem Sonderfall von Paranoia wurde kürzlich ein Freund von mir in die Geschlossene verbracht. Ich hatte schon länger beobachtet, dass sein gesundes Misstrauen krankhafte Züge annahm. Er war fällig, als er in einer Buchhandlung brüllend gleich meterweise Bücher aus den Regalen räumte, die nach seiner Einschätzung gefälscht sind.
Der Fachausdruck heißt „Fake Art Paranoia“. Das Opfer findet immer mehr Hinweise auf gefälschte, geklaute oder mit einer erfundenen Begleitgeschichte versehene Kunstwerke. Prädestiniert dafür sind Werke aus der Geschichte (Rembrandt), Ausgrabungen („Auf einem Dachboden wurden Schulhefte gefunden . . .“), leicht zu imitierende Stile (Thomas Bernhard, Nena) oder auch kaum überschaubare Gesamtwerke (Kippenberger). Im aktuellen Bereich sind es vor allem Biografien, die Fake Art Paranoia auslösen, wenn wir etwa vom neuen Rap-Star 10 Chicks erfahren, dass er am Sterbebett seiner Mutter – einer nie aufgeflogenen Black Panther-Aktivistin – schwor, seine Karriere als Mafia-Killer zu beenden: Im Gegensatz zum Gesunden kann der F.A.P.-Infizierte dann nicht einfach sagen, der Sound ist doch super, was soll´s! [...]"
Vor einigen Jahren durchlebte ich eine Krise, nicht unählich der in diesem Artikel beschriebenen. Auch für meine Wahrnehmung bestand meine Bibliothek plötzlich aus einer Unzahl manipulierter Bücher, und diese sorgfältig zusammengetragenen Bände, die ich noch kurz zuvor für eine Art kosmischen Calculus gehalten hatte, weshalb ich ihre Anordnung fast täglich nach mir nicht mehr nachvollziehbaren Aspekten veränderte, diese geliebte Büchersammlung, der einzig nennenswerte Privatbesitz meines bisherigen Lebens, hatte sich plötzlich in eine Spottgeburt verwandelt, die zwar nach außen immer noch aus den gleichen Bänden bestand, meiner Überzeugung nach jedoch von übelwollenden Mächten nächtens gegen extra zu diesem Zwecke verfertigte Fälschungen ausgetauscht wurde. Der Augenblick, an dem ich endgültig aus diesem nach außen noch notdürftig verborgenen Wahndenken brach, um mich als sedierte Haldolleiche in der geschlossenen Abteilung der Düsseldorfer Psychiatrie wiederzufinden, war gekommen, als ich, von beschriebenen Zweifeln zermartert, zu einem Band griff, den mir einige Jahre zuvor K. geschenkt hatte, den ich jedoch aufgrund der mir eher fernstehenden Thematik nur oberflächlich zur Kenntnis genommen hatte: Ein Werk aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, dessen ungefährer Titel lautete »Durchs finsterste Afrika« und das in Lettow–Vorbeck'scher Rassistenweise die Fährnisse eines wilhelminischen Expeditionsteams beschrieb. Ich griff in meiner Getriebenheit zu diesem Band, da ich hoffte, aufgrund meiner Unkenntnis seines Inhalts Zerstreuung von meinen quälenden Irritationen, Werke der Weltliteratur betreffend, zu finden. Ich hatte das Buch kaum aufgeschlagen, als ich es schon laut schreiend von mir warf, als sei es ein glühendes Stück Eisen. Die erste beigelegte Bildtafel, die mir vor Augen kam, stellte einen ehrfurchtgebietenden Baumveteranen dar, in Größe und Gestalt einem Affenbrotbaum ähnelnd. Die Bildunterschrift lautete: »Im Schatten des Leberwurstbaums« und dies war für mich der letzte Beweis der Richtigkeit meiner Annahme einer Fake Art–Verschwörungstheorie.
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