Anschlag auf den Knast Weiterstadt
Erklärung vom 30. März 1993
Es hat sich nichts daran geändert, daß wir den Einschnitt in unsere Geschichte, den wir gemacht haben, brauchen und wollen. Denn wir sind auf einen Prozeß aus, in dem soziale Gegenmacht von unten und daraus eine neue Vorstellung für den revolutionären Umwälzungsprozeß entwickelt werden kann. Das erfordert eine Diskussion, in der sich die unterschiedlichsten Menschen finden und neue Grundlagen und gemeinsame Kriterien für diesen Prozeß schaffen. Es geht um den Aufbau einer sozialen Gegenmacht, die sich als relevante Kraft in einem neuen internationalen Kampf für die Umwälzung der zerstörerischen kapitalistischen Verhältnisse einbringen kann.
Es wird darum gehen, die sowohl international wie auch innergesellschaftlich veränderte Wirklichkeit umfassend zu begreifen und in diesem Prozeß auch »den ganzen alten Begriffsschrott [der Linken] abzuklopfen ...«, denn nur in einer tiefgreifenden Auseinandersetzung wird es möglich werden, eine Vorstellung zu gewinnen, wie die Verhältnisse revolutionär aufzuheben sind. Und nur aus diesem Prozeß können die Fragen nach den Mitteln des Kampfes und den konkreten Formen der Organisierung neu beantwortet werden.
Dieser Prozeß hat für uns nach wie vor die größte Priorität. Die Notwendigkeit dazu ist jeden Moment spürbar, wenn wir uns die rasante destruktive Entwicklung des kapitalistischen Systems vor Augen halten. Dieses System hat schon lange die Ausgrenzung, das materielle und soziale Elend und den Tod von Millionen Menschen im Trikont hervorgebracht. Heute ist die Entwicklung der fortschreitenden grundsätzlichen Krise dieses Systems an einem Punkt angelangt, an dem die Zerstörung der Lebensgrundlagen selbst in den Metropolen nicht mehr zu verdrängen ist und soziales und materielles Elend auch hier zur Realität von immer mehr Menschen geworden ist und viele spüren, daß die Perspektive in diesem System für sie selbst nur Hoffnungslosigkeit bedeutet. In dieser Situation hat das Fehlen einer sozial sinnvollen Alternative als gesellschaftliche Kraft katastrophale Auswirkungen.
Während der Staat die Ausbreitung und Eskalation faschistischer und rassistischer Mobilisierung in der Gesellschaft schürt und fördert und es z.B. mit seiner gezielten Hetze gegen Flüchtlinge geschafft hat, einen Großteil der aufbrechenden Widersprüche in eine reaktionäre Richtung zu kanalisieren, ist die Situation auf unserer Seite nach wie vor von Vereinzelung und Desorganisation geprägt.
Im August letzten Jahres haben wir einen Text geschrieben, in dem es uns um die Reflexion unserer Geschichte geht und wir gleichzeitig Kriterien und Überlegungen für die Zukunft angerissen haben; Gedanken, die sich aus unserer Auseinandersetzung in den letzten Jahren entwickelt haben. Diese Gedanken sind für uns Ausgangspunkt in der Diskussion, die wir führen wollen. Natürlich sind neue Fragen und Überlegungen dazugekommen. Auch wenn wir nicht viel Resonanz auf unser Papier bekommen haben, ist es unser Bedürfnis, die Diskussion weiter und genauer zu entwickeln.
Aus Teilen der Frauenbewegung gab es die Kritik an uns, daß wir nur wenig auf ihre Diskussionen eingegangen sind, die fir Teile von ihnen in den letzten Jahren sehr wichtig gewesen sind, wie die Diskussion um Rassismus. Und auch durch die sich überschlagenden Ereignisse wie z.B. in Rostock ist es für uns dringend geworden, diese Auseinandersetzung genauer zu führen.
Wenn wir auch nach wie vor die Verschärfung der Lebensbedingungen hier und die um sich greifende Perspektivlosigkeit vieler Menschen sowie das Fehlen der Linken als Kraft als einen Grund für den Zulauf bei den Faschisten sehen, ist es auf der anderen Seite aber auch klar, daß die Wurzeln dafür, warum sich hier in der Metropole, im neuen Großdeutschland, die Unzufriedenheit in einem solchen Ausmaß gegen Fremde entlädt, tiefer liegen. Damit müssen sich alle sehr bewußt auseinandersetzen. Wie ein Mosambikaner sinngemäß gesagt hat: Bei uns sind die Menschen auch arm, und trotzdem schlagen sie deshalb nicht auf die nächsten unter ihnen ein.
Die Auseinandersetzung über Rassismus wird also sicher ein wichtiger Teil beim Aufbau einer Gegenmacht von unten sein - die nicht im Ghetto bleiben oder als Abgrenzung zu anderen geführt werden kann, sondern als Frage ans eigene Bewußtsein, wie jede/r sein will und welche gesellschaftliche Entwicklung man/frau will.
Daß da in der Vergangenheit Fehler gelaufen sind, kritisiert die autonome l.u.p.u.s.-Gruppe in ihrem Buch »Geschichte, Rassismus und das Boot« so:
»So selbstverständlich und geübt es scheint, heute über Rassismen, über das >spezifisch Deutsche< oder über deutsche Einzigartigkeiten zu streiten, so selbstverständlich sah die revolutionäre Linke in den letzten 20 Jahren darüber hinweg. Was in der linken Auseinandersetzung um patriarchales Verhalten unmöglich geworden ist, schien in der Frage des Deutschseins auffällig leicht zu fallen: wir haben damit nichts zu tun.«
Die Chancen, heute vieles anders zu machen und neues herauszufinden, sind groß: Die Frage nach dein Aufbau einer Gegenmacht von unten ist nicht aus- schließlich eine Frage an weiße, deutsche Linke, sondern eine Frage danach, wie Menschen, die hier leben, sich gemeinsam organisieren können. Und die Bevölkerung setzt sich hier aus Menschen der unterschiedlichsten Nationalitäten und Hautfarben zusammen.
der Dialog mit schwarzen Frauen muß nicht in fernen Ländern stattfinden, sondern ist/wäre viel einfacher und intensiver mit den Frauen möglich, die in der BRD leben. Die Geschichte von Migrantinnen und ihr Wissen aus den Herkunftsländern ist dabei für das Begreifen internationaler Zusammenhänge so wichtig, wie ihre politischen Meinungen und Erfahrungen mit Rassismus und dem anderen Sexismus, der sie hier trifft, für das Verständnis der BRD-Gesellschaft ...» (aus: «!basta! Frauen gegen Kolonialismus").
»... es war die 68er-Bewegung, die das, was der Faschismus nach dem Judentum innerstaatlich am grausamsten verfolgt und ausgemerzt hatte, die Linke, ihre Werte, Kultur und Kontinuität, wieder lebendig und berechtigt hat werden lassen in Deutschland-West. Und wenn heute eine Re-Faschisierung läuft, dann breitet sie sich aus in jenem politisch-kulturellen Vakuum, das diese Linke in ihrem Rückzug aus einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung und Neusetzung von Werten und Einstellungen hinterlassen hat« (Lutz Taufer, Gefangener aus der RAF).
Es ist eine Aufgabe der Linken, in ihrer Praxis neue Werte zu setzen und zu leben, ansonsten wird in der Gesellschaft immer nur das hervorbrechen, was 500 Jahre Kolonialismus im Bewußtsein der Metropolenbevölkerung angerichtet haben: rassistische Ideologie. Das weiße Herrenmenschenbewußtsein ist seit 500 Jahren Voraussetzung für kolonialistische und imperialistische Ausbeutung der Völker im Trikont. Es ist im Bewußtsein der weißen Metropolenbevölkerung aus dieser Geschichte vorhanden und wird in Krisenzeiten von Staat und Kapital offen mobilisiert.
Rassismus heißt, Menschen in »Andersartige« und »Mehr-« und »Minderwertige« zu kategorisieren. So werden immer die kategorisiert, die im kapitalistischen Produktionsprozeß entweder nicht mehr gebraucht werden oder härter ausgebeutet werden sollen.
Die Zerstörung des Sozialen unter den Menschen ist die Voraussetzung für Rassismus. Diese Zerstörung bedeutet, daß auf der Basis des kapitalistischen System, dem 24-Stunden-Alltag von Leistung und Konkurrenz, den Menschen eigene Kriterien geraubt und durch für den Kapitalismus funktionale Werte ersetzt wurden am effektivsten in den Metropolen. Das zeigt sich z.B. am Verhältnis zu Arbeit und Leistung als Wertdefinition des Menschen: Ohne Arbeit bist du nichts Es ist das Verhältnis zur Zeit, wo es für die meisten Menschen zur Normalität geworden ist, in einem vollkommen vorbestimmten Rhythmus und Streß das ganze Leben zu verbringen, in dem es keinen Platz für Kreativität und Lebenslust gibt.
Es zeigt sich daran, daß in diesem System alles zur Ware wird, auch das Verhältnis zur Körperlichkeit, wobei natürlich die Frauen am meisten dazu gezwungen werden, ihren Körper als Ware zur Schau zu tragen, die von Männern konsumiert oder eben abgelehnt wird
Es war und ist immer die Voraussetzung für die Herrschaft des kapitalistischen Systems über die Menschen gewesen, mit solchen Kriterien auch tausend Trennungen zwischen sie zu setzen: die Trennungen in Mehr- und Minderwertige; in Leistungsfähige und »Arbeitsscheue«; in Schwarze und Weiße; in Männer und Frauen; Alte und Junge, Kranke, Schwache, Behinderte und Starke, Gesunde; in Gescheite und »Dumme«.
Dieser Prozeß der Zerstörung hat heute eine Dimension erreicht, in der die Gesellschaft in ein inneres Um-Sich-Schlagen übergeht.
Rassistisches Bewußtsein wie überhaupt der destruktive Prozeß in der Gesellschaft kann nur in Kämpfen, in denen soziale Beziehungen und Werte hervorgebracht und umgesetzt werden, aufgehoben bzw. umgekehrt werden. Eine Perspektive revolutionärer Entwicklungen wird nur in solchen Prozessen wieder vorstellbar werden. Entweder schafft die Linke - und damit meinen wir alle, die auf der Suche nach Wegen sind, wie menschenwürdiges Leben hier und weltweit durchgesetzt werden kann - einen neuen Aufbruch, der seine Wirkung in die Gesellschaft hat, oder der »Aufbruch« bleibt auf der rechten, faschistischen Seite.
Entweder wird von unserer Seite aus eine Basisbewegung von unten entwickelt, die von Solidarität und Gerechtigkeit, vom Kampf gegen soziale Kalte, Perspektivlosigkeit und Armut bestimmt ist, oder die explodierenden Widersprüche werden weiterhin destruktiv bleiben und die Gewalt jede/r gegen jede/n eskalieren.
Es gibt Linke, die sich mit diesen Fragen nach der gesellschaftlichen Entwicklung, wie wir und auch andere sie gestellt haben, nicht auseinandersetzen wollen, weil dies reformistisch sei. Solche Scheindiskussionen um revolutionär/reformistisch sind ohne jeden Gebrauchswert für die Neubestimmung revolutionärer Politik; und auch im Festhalten und Beharren auf zeitlos alten Klarheiten wird niemand Antworten auf die sich heute stellenden Fragen finden. Die gegenseitigen Bestätigungen, daß die Revolution international sein muß, sind banal - sie nutzen niemandem, auch nicht den Völkern im Süden oder Osten.
Die wirklichen Fragen fangen danach erst an, nämlich wie hier eine soziale Gegenmacht aufgebaut werden kann, die aus den gemachten Erfahrungen und eigenen Fortschritten sich tatsächlich als relevante Kraft in die internationalen Diskussionen und Kämpfe einbringen kann. In diesem Sinne ist der Vorwurf an uns, wir würden eine Neubestimmung nicht mehr im internationalen Zusammenhang suchen, inhaltlich genauso oberflächlich, wie er absurd ist.
Das Draufstürzen auf das Bemühen anderer, um zu sehen, wie man es zerreißen kann (oder ob es besser ist, sich dranzuhängen), ist eine alte Rangehensweise der deutschen Linken. Das Positive daran, daß in den Diskussionen seit dem 10.4. letzten Jahres innerhalb der radikalen Linken zentnerweise alter Mist - wie Konkurrenz und Abgrenzungsdenken oder verkrampftes Festhalten an alten Rangehensweisen - Hochkonjunktur erlebt hat, ist, daß er, so offen, wie er nun dasteht, auch endlich überwunden werden kann.
Die Voraussetzung für die Neubestimmung revolutionärer Politik ist, daß jetzt die Leute zusammenkommen, sich organisieren und handeln, die voneinander wirklich was wissen wollen und neue Gedanken zulassen und entwickeln wollen.
Seitdem wir vor einem Jahr die Eskalation von unserer Seite aus zurückgenommen haben, hat der Staat die Verfolgung fortschrittlicher Menschen, die politische GegnerInnen dieses Systems sind, teilweise noch verschärft: Versuche, aus der Vereinzelung heraus Räume für eine andere Entwicklung zu erkämpfen, werden nach wie vor niedergemacht. Herausragendes Beispiel war der Versuch, den Gegenkongreß gegen den Weltwirtschaftsgipfel in München von vorneherein zu verhindern, eine internationale Diskussion unmöglich zu machen sowie die Einkesselung der Demonstration.
Die antifaschistische Organisierung wird kriminalisiert und antifaschistische Demonstrationen wie in Mannheim im Sommer letzten Jahres niedergeprügelt.
Natürlich besteht ein Zusammenhang zwischen dem Niedermachen von selbst-bestimmten Ansätzen, der Verfolgung und Einknastung von Antifas und der stärker werdenden faschistischen Mobilisierung.
Die Herrschenden wissen, daß alle Maßnahmen, zu denen sie aus der Krise gezwungen sind, die Widersprüche im Inneren verschärfen werden - Sozialabbau, steigende Wohnungsnot, steigende Arbeitslosigkeit, Stahlkrise, Krise in der Autoindustrie ... - Reuter, Chef von Daimler Benz, geht laut Spiegel von 30 bis 50 Jahren Krise aus-, das alles soll auf die Bevölkerung abgewälzt werden. Gleichzeitig muß der Staat eine irgendwie geartete Mobilisierung für Großdeutschland hinkriegen. Wenn z.B. militärische Einsätze der Bundeswehr zwar unter der Hand immer wieder gelaufen sind - wie im Krieg gegen den Irak und gegen das kurdische Volk-, so geht es dem groß-deutschen Staat perspektivisch doch um eine andere Dimension und um eine größere Akzeptanz auch hier im Innern für Deutschland als Militärmacht - da bleibt nicht viel anderes als eine rassistische, weiße Mobilisierung der »deutschen Staatsbürger« in dem einen Boot, was diese Gesellschaft im herrschenden kapitalistischen Interesse noch zusammenhalten könnte.
Während sie auf der einen Seite also rassistische Ausländer- und Asylgesetze verabschieden und Flüchtlinge hier zu »dem Problem der Deutschen« ganz gezielt in die Köpfe der Leute gepuscht haben und damit die faschistische Mobilisierung überhaupt in diesem Ausmaß auf den Plan gerufen haben, übernehmen sie auf der anderen Seite gleichzeitig die Schirmherrschaft von Demonstrationen gegen Fremdenhaß, wie in Berlin Ende letzten Jahres. So soll auch noch die Empörung vieler Menschen gegen die faschistischen Schläger und Mörder für diesen Staat kanalisiert und funktionalisiert werden, um zu verhindern, daß sich aus dieser Empörung eine Bewegung von internationaler Solidarität der Unterdrückten gegen die Herrschenden und ihre faschistischen Schläger entwickelt, wurde wochenlang durch die Medien gepeitscht: Es ginge um Gewalt, Gewalt von links wie Gewalt von rechts. Während hier täglich ausländische, behinderte und obdachlose Menschen angegriffen werden und es allein ,91 dabei 17 Tote gegeben hat, stellte Kohl sich hin und redete von Extremismus von links und von rechts, der bekämpft werden muß.
Der Jubel der Herrschenden über den Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems und über den »großen Sieg« des kapitalistischen Systems ist schon seit einiger Zeit verstummt - diese Entwicklung hat das kapitalistische System in seine größte Krise gestürzt. Die Herrschenden haben keine Antworten auf diese Krise - was nicht heißt, daß sie nicht trotzdem mit menschenverachtenden Planungen und Maßnahmen versuchen, die Situation da, wo sie noch können, zu regulieren. Es scheint, daß die einzige Linie, die sie klar haben, die Bekämpfung der Linken ist. Da sollen alle niedergemacht werden, die auf eine antifaschistische und antirassistische Mobilisierung von unten und gegen die herrschenden Interessen aus sind. Verhindern wollen sie Ansätze, wo Menschen sich für ein von unten bestimmtes solidarisches Lösen der Probleme organisieren. Darüber hinaus führt der Staat einen Rachefeldzug gegen die alten Kommunisten und Antifaschisten, was sich exemplarisch an dem Prozeß und der Einknastung von Gerhard Bögelein gezeigt hat, bis sie ihn kurz vor seinem Tod rauslassen mußten.
Alles, was an Widerstandserfahrungen in diesem Jahrhundert entwickelt worden ist, soll ausgemerzt werden. Und genau diese Haltung zeigt sich auch in dem Umgehen des Staates mit unseren gefangenen GenossInnen.
Wir sind oft kritisiert worden, daß wir in der Erklärung vom April letzten Jahres unsere Entscheidung zur Zäsur mit der Situation der Gefangenen bzw. überhaupt mit dem staatlichen Vernichtungswillen verknüpft hätten.
Wir haben jedoch den Einschnitt in unsere Geschichte immer mit der Notwendigkeit begründet, neue Grundlagen zu entwickeln, und gesagt, daß diese Notwendigkeit unabhängig vom staatlichen Handeln existiert. Aber uns war auch von Anfang an dabei bewußt, daß unklar ist, wie der Staat reagiert, wenn wir den Druck von unserer Seite aus wegnehmen, und deshalb haben wir uns mit der Drohung die Möglichkeit offengehalten, da zu intervenieren, wo es notwendig ist, dem staatlichen Ausmerzverhältnis Grenzen zu setzen. Im August '92 haben wir geschrieben:
»Wir werden die bewaffnete Intervention dann als ein Moment des Zurückdrängens bestimmen und nicht als weitere Strategie. Wir werden also nicht einfach zum Alten zurückkehren. Diese Eskalation ist nicht unser Interesse. Aber der Staat muß wissen, wenn er keine andere Möglichkeit zuläßt, daß es auf unserer Seite die Mittel, die Erfahrung und die Entschlossenheit gibt, sie dafür zur Verantwortung zu ziehen.«
Es ist Quatsch zu sagen, wir hätten damit uns bzw. die Frage der Weiterentwicklung revolutionärer Politik von der Situation der Gefangenen abhängig gemacht. Aber Tatsache ist auch, daß unser Schritt z.B. Auswirkung darauf hat, wie der Staat mit der Frage nach der Freiheit der politischen Gefangenen umgeht. Das ganze ist eine widersprüchliche Situation; damit müssen wir umgehen und uns darin bewegen können. Wir leben schließlich nicht im luftleeren Raum.
Nachdem wir den Druck von unserer Seite aus weggenommen hatten, hat sich der Staat in bezug auf die Gefangenen ein weiteres Mal für die Eskalation entschieden - das Urteil gegen Christian Klar und die neue Prozeßwelle überhaupt sollen bei vielen das Lebenslänglich zementieren; die Entscheidung, Bernd Rössner nicht endgültig freizulassen; mit den letzten Ablehnungsbegründungen auf die Anträge von Gefangenen auf Freilassung ist die Staatsschutzjustiz da angekommen, sie zur psychiatrischen Untersuchung zwingen zu wollen, womit sie eingestehen sollen, ihr Kampf ihr Aufbruch sowie ihre Gegnerschaft zum System sei Irrsinn. Die Gefangenen sollen nicht zusammengelegt werden, denn sonst könnten sie in Diskussionsprozesse und gesellschaftliche Prozesse eingreifen - und noch viel weniger sollen sie draußen sein. Sie sollen nach wie vor vernichtet werden und ihre Erfahrungen aus Kämpfen von anderen ferngehalten werden.
Es ist vollkommen klar, daß es eine politische Entscheidung des Staates erfordert, um vom Ausmerzverhältnis gegen die Gefangenen zu einem politischen Umgang mit der Gefangenenfrage zu kommen - die politische Ebene hat diese Frage aber an die Staatsschutzjustiz abgegeben, die natürlich erst recht nicht die Entscheidung trifft, zu der die Politik nicht willens ist.
Sicher liegen nach wie vor tausend Fragen auf dem Tisch, und eine solidarische Diskussion, in der aus den gemachten Erfahrungen der Kämpfe in den letzten 25 Jahren gemeinsam gelernt, Schlüsse für die Zukunft und gemeinsame Kriterien für eine neue Vorstellung für den Umwälzungsprozeß entwickelt werden können, hat noch kaum angefangen. Aber es gibt Grundsätze und Selbstverständlichkeiten, die nicht in Frage gestellt werden müssen, von denen wir einfach ausgehen: z.B. das Verhältnis zu unseren gefangenen GenossInnen und der Tatsache, daß der Staat seit 22 Jahren politische Gefangene in Isolationshaft foltert - wir kämpfen für die Freiheit dieser Gefangenen.
Wir werden nicht sagen: Wir sind jetzt auf der Suche nach einer neuen Strategie, und was mit ihnen derweil passiert, paßt jetzt nicht in unser Konzept. Wir können einen neuen Anfang, die Entwicklung neuer Vorstellungen, gar nicht losgelöst von der Frage sehen, wie die Freiheit unserer GenossInnen, die aus diesen 22 Jahren Kämpf gefangengenommen wurden, erkämpft werden kann. Sie sind seit 22, 18 ... Jahren in Isolation/Kleingruppenisolation, es ist keine Frage: ALLE MÜSSEN JETZT RAUS!
Die Frage, ob die Freiheit aller politischen Gefangenen in einer gemeinsamen Anstrengung aller linken und fortschrittlichen Menschen durchgekämpft werden kann, hat aus unserer Sicht auch Bedeutung dafür, ob wir es schaffen, in dieser Phase der Neubestimmung tatsächlich eine starke und selbstbewußte Kraft, die Gegenmacht gegen die herrschenden Verhältnisse ist, aufzubauen. Wer heute schulterzuckend oder ohnmächtig akzeptiert, daß die Gefangenen weiter dieser Tortur unterworfen werden, weil er/sie denkt, daß unsere Seite dagegen zu schwach ist, wie soll er/sie darauf hoffen können, daß wir in der Lage sind, eine Kraft aufzubauen, die die gesamten Verhältnisse umwälzen kann?
Wir haben mit dem Kommando Katharina Hammerschmidt den Knast in Weiterstadt gesprengt und damit auf Jahre verhindert, daß dort Menschen eingesperrt werden. Wir wollen mit dieser Aktion zu dem politischen Druck beitragen, der die harte Haltung gegen unsere gefangenen GenossInnen aufbrechen und den Staat an dieser Frage zurückdrängen kann. Doch dafür, daß ihre Freiheit durchgesetzt werden kann, braucht es die unterschiedlichsten und vielfältigsten Initiativen von vielen. Im letzten Jahr hatten wir versucht, trotz der Zäsur politischen Druck von unserer Seite aus an dieser Frage über die Drohung zu halten. Das, was es dafür an Wirkung und Grenze hätte sein können, ist leider gerade von GenossInnen aus dem linksradikalen Spektrum systematisch demontiert worden.
Mit unserer Aktion haben wir diesen Druck jetzt neu gesetzt und die Drohung aktualisiert. Wir denken, daß das genutzt werden kann.
»Wir fordern die Schließung des Knastes Weiterstadt! Weiterstadt ist als Abschiebeknast konzipiert und auf verseuchtem Gelände gebaut ...« (aus einem Diskussionspapier von Gefangenen aus Stuttgart-Stammheim, September ,91). Der Weiterstädter Knast steht exemplarisch dafür, wie der Staat mit dem aufbrechenden und sich zuspitzenden Widersprüchen umgeht: gegen immer mehr Menschen Knast, Knast, Knast - und er steht als Abschiebeknast für die rassistische staatliche Flüchtlingspolitik. In seiner technologischen Perfektion von Isolation und Differenzierung von gefangenen Menschen ist er Modell für Europa.
Weiterstadt war neben Berlin-Plötzensee der zweite völlig neu konzipierte Hochsicherheitsknast in der BRD. Mit Begriffen wie »Wohngruppenvollzug« wird er mit seinem Hochsicherheitstrakt für Frauen, als das »humanste Gefängnis« in der BRD dargestellt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich jedoch ein wissenschaftlich weiterentwickeltes Konzept zur Isolierung, Differenzierung und totaler Kontrolle der Gefangenen. Es ist das Prinzip von Belohnung und Bestrafung in High-Tech-Form, das die Gefangenen zur Disziplinierung und Unterwerfung zwingen und letztlich ihre »Mitarbeit«, sich selber zu brechen, erreichen soll.
Das elektronische Überwachungssystem war wohl das teuerste und perfekteste in ganz Europa, mit dem jede Äußerung und Bewegung der Gefangenen kontrolliert werden und zur Auswertung für die psychologischen Programme benutzt werden sollte, um jede Regung von Solidarität, Freundschaft und selbstbestimmte Organisierung zerstören zu können.
»Bevor die Gefangenen auf die einzelnen Wohngruppen verteilt werden, durchlaufen sie die Einweisungsabteilung. Dort wird ein Psychiatriestab die einzelnen Gefangenen auf Anpassungsbereitschaft bzw. Widerstandswillen durchleuchten. Anhand der Ergebnisse wird die Aufteilung der Gefangenen auf die einzelnen Wohngruppen bestimmt. Die Wohngruppen sind hierarchisch gestaffelt. Angefangen von Unbeugsamen und Unkooperativen bis hin zu Anpassungswilligen. Das Ziel: eine >Karriere< des Gefangenen durch Aufsteigen von der untersten (= Unangepaßtesten) in die höchste (= konformste) Wohngruppe« (aus: »Infoblatt der >Bunten Hilfe< Darmstadt«).
Dazu schrieb eine der Frauen aus der Plötze, die mit einem Hungerstreik für die Abschaffung des Wohngruppenvollzugs gekämpft haben: "Die Situation ist gekennzeichnet durch ein Ausmaß an Kontrolle und Repression, wie es in seiner Totalität kaum vorstellbar ist. Die Plötze ist sowohl architektonisch wie auch personell so konzipiert, daß ein Kontakt zwischen den Frauen gar nicht zustande kommt oder aber bis ins letzte Detail registriert wird. Die Frauen werden in voneinander abgeschirmte Zwangsgemeinschaften gepfercht, in denen sie danach ausgesucht werden, wie gut sie sich anpassen und wie sie sich am hesten gegenseitig fertig machen. Die schallisolierten Zellen haben eine Gegensprechanlage, durch die die Frauen jederzeit akustisch überwacht werden können. Die Stationsgänge sind mit Kameras bestückt und der Gruppenraum, wo sich die Gefangenen in der Freizeit treffen, ist verglast - kurz, die perfekte Überwachung jeder Lebensäußerung ..
Mit der Lüge vom »humansten Knast« wollte die Justiz Gefangene in anderen Knästen auf deren Verlegung nach Weiterstadt einstimmen. Jahrelang sind sie auf viele Forderungen der Gefangenen in Frankfurt-Preungesheim nicht eingegangen, mit dem Hinweis, es gäbe '93 den Weiterstädter Knast. Was aber hat beispielsweise die Forderung nach Abbau der brutalen Betonsichtblenden in Preungesheim mit Weiterstadt zu tun? Nichts. Nicht mal die Behauptung, durch Weiterstadt (wo die Überbelegung von vornherein eingeplant war) würde sich die Situation der Überbelegung für die Gefangenen in Preungesheim verändern, entspricht der Realität. Sie hat den propagandistischen Zweck, zu vertuschen, daß sie immer mehr Knäste bauen (Preungesheim soll nicht etwa geschlossen, sondern neu aufgebaut werden), mehr Haftplätze schaffen und immer mehr Menschen einsperren, was ihre Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung ist.
Der Bau von Knästen ist keine Lösung für die (Preungesheimer) Gefangenen. Ihre Forderungen müssen erfüllt werden - Knäste müssen abgerissen werden.
Freiheit für alle politischen Gefangenen! Freilassung aller HIV-Infizierten! Freilassung aller Flüchtlinge, die in Abschiebehaft sind!
Schließung aller Isolationstrakte! Wir grüßen alle, die in den Knästen für ihre Menschenwürde kämpfen - in Preungesgeim, Santa Fu, Pläezensee, Rbeinbach, Stammheim, Straubing
Solidarität mit den internationalen Gefangenenkämpfen!
Der Weg zur Befreiung führt über den sozialen Aneignungsprozeß, der Teil wird in ei-nein neuen internationalen Kampffür die Umwälzung!
Rassismus von Staat und Nazis bekämpfen! Rassistisches Bewusstsein in der Gesellschaft im Kampf für das Soziale unter den Menschen aufheben - auch dafür brauchen wir eine Basisbewegung von unten, die von Solidarität und Gerechtigkeit, vom Kampf gegen soziale Kalte, Perspektivlosigkeit und Armut bestimmt ist!
Für eine Gesellschaft ohne Knäste!
KommandoKatharinaHammerschmidt
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