Nr. 23, 5. Oktober 2001
Die Gefahren des fundamentalistischen Islam
Angriff gegen den Westen
Von Hans-Peter Raddatz
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das WorldTradeCenter in NewYork und das Pentagon in Washington haben nach allgemeiner Ansicht eine neue Zeit eingeleitet.
Die apokalyptischen Ausmaße der Verwüstungen im Gefolge der Terroranschläge in den USA versetzten die gesamte zivilisierte Welt in einen Zustand kollektiven Schocks. In den Folgetagen sammelten sich die Verantwortlichen nur allmählich zu Strukturen koordinierten Sprechens und Handelns, aus denen vor allem erkennbar wurde, dass man «besonnen und entschlossen die Täter und ihre Hinterleute ausfindig machen und bestrafen» werde.
Während sich im Rahmen dieses Meinungsprozesses trotz klar hervortretender Schwächen der Geheimdienste die amerikanische Öffentlichkeit sehr rasch und nahezu einheitlich hinter ihre Führung stellte, wurde bei uns ebenso rasch deutlich, dass man nicht bereit war, sich von gewachsenen, seit langem stereotyp gepflegten Politformeln zu trennen. Zu den zentralen Aussagen dieses Formelkatalogs gehört die Auffassung, dass «der islamische Fundamentalismus nicht gleich Islam» ist, ein Stereotyp, mit dem der sogenannte «interkulturelle Dialog» seit Jahrzehnten um Einebnung des Konfliktbewusstseins in unserer Öffentlichkeit bemüht ist. Diese Vorstellung soll besagen, dass es einen friedliebenden, integrationsfähigen Islam gibt, der nicht mit dem terrorfähigen Islamismus zu verwechseln sei, einer politisch-totalitäre Formation, die demgemäß mit dem «eigentlichen Islam» nichts zu tun habe. Beim Islam handle es sich um eine tolerante Religion und grossartige Kultur, welcher der Westen unendlich viel, vor allem Toleranz zu verdanken habe.
«Dialogkatechismus»
Im Zuge der in den westeuropäischen Ländern, insbesondere in Deutschland, vorwiegend türkischen Einwanderung verfestigte sich eine Art «Dialogkatechismus», der es bei empfindlicher Bestrafung untersagte, dem Islam in irgendeiner Form historisch begründete Skepsis entgegenzubringen. Mit monotonen Schablonen wie «Feindbild Islam» und «der Fundamentalismus ist nicht der Islam» wurden der herrschenden Classe politique neue Herrschaftsmittel gegenüber der Bevölkerung an die Hand gegeben, gegenüber einer Bevölkerung, die aufgrund abnehmender Bildungsqualität dem ständig propagierten «Dialog» keine wirksame Argumentation entgegensetzen konnte. Im Ergebnis präsentierten sich Kirchen, Parteien, Universitäten und Medien, die den Vertretern des Islam ihre Potentiale umfassender Unterstützung verfügbar machten. Unter euphorischen Begleitfloskeln wie «man muss erst Muslim sein, um Christ sein zu können» oder der Aufforderung des deutschen Bundespräsidenten an die Bevölkerung, sich am Bau von Moscheen zu beteiligen, konnten letztere zwischen 1970 und 2000 in Deutschland ein Wachstum von nicht weniger als 1000% entwickeln. In diesem Szenario eines Dialogs auf Basis fundamentaler Inkompetenz konnte der Anschlag von New York kaum noch überraschen.
Überhörte Warnungen
Während nun allerdings die Geheimdienste und Verfassungsschutzorgane in den USA und in Deutschland in den Jahren vor den furchtbaren Ereignissen des 11. September ihre Warnungen vor der Vernetzung islamischer Kampfkader und ultraislamistischer Terrorgruppen abzuschwächen begannen, fuhren die Dialog-Protagonisten fort, diese Meldungen hartnäckig zu negieren, und wiederholten das Dogma der Ungleichheit von Islam und Fundamentalismus, wobei sie sonderbarerweise ihre Dialoganstrengungen nicht auf den «eigentlichen Islam», sondern auf dessen radikalen Teil konzentrierten. In den USA hatte die CIA seit 1997 ihrerseits die Undercover-Kontrolle der islamischen Netzwerke aufgegeben, was eine intensive Protestaktion engagierter Journalisten nach sich zog, die in den Jahren danach erfolglos vor den Gefahren der wachsenden Radikalisierung und Technisierung der amerikanischen Islam-Kader warnten. Schließlich konnten sogar auch diverse Regierungsdelegationen aus islamischen Ländern, die um eine energischere Intervention der USA im Israel-Palästina-Konflikt baten, keine Veränderung der amerikanischen Politik bewirken.
Wenn der Terroranschlag vom 11. September 2001 islamischen Kräften zugeschrieben wird, dann ist auf amerikanischer Seite gleichermaßen eine auffallende Passivität zu registrieren, die dem Islam-Terror, der bekanntermaßen seine logistische Drehscheibe in Deutschland hat, einen bemerkenswerten Ruheraum zur Vorbereitung und Durchführung seiner fürchterlichen Aktivitäten ermöglichte.
Ungestörte Fortsetzung
In den europäischen Ländern, besonders in Deutschland und in der Schweiz, ist auch nach der Apokalypse von NewYork keine nennenswerte Änderung der Dialog-Doktrin festzustellen. Nach wie vor wird der Islam vom Fundamentalismus getrennt, der somit seine seit Jahren praktizierte Gewaltspirale sozusagen mit Gütesiegel der deutschen Eliten ungestört fortsetzen und dabei aus dem unerschöpflichen Personal-Reservoir des «eigentlichen Islam» schöpfen kann.
Hans-Peter Raddatz
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