>Info zum Stichwort Irrenoffensive | >diskutieren | >Permalink 
! schrieb am 31.3. 2008 um 20:05:22 Uhr über

Irrenoffensive



Um die Geschichte der Irren-Offensive zu verstehen, muß sie im geschichtlichen Kontext erzählt werden. Und ich beginne früher, als ihr vielleicht erwartet.

1933 tritt parallel zu den Nürnberger Gesetzen das Erbgesundheitsgesetz in Deutschland in Kraft. Beide hatten zum Ziel, einen Teil der deutschen Bevölkerung biologisch zu definieren und von der künftigen Entwicklung auszuschließen: das politische wird mit biologischen Lügen metaphorisch aufgeladen, um den alten Hass gegen die Unangepassten austragen zu können, und der medizinisch-säkularen Herrschaft zum endgültigen Sieg zu verhelfen:

Zurecht sagt Ernst Klee: »nicht die Nazis haben die Ärzte gebraucht, sondern die Ärzte die Nazis«. Insofern sollte man über eine Bezeichnung Chefarzt Prof. Dr. Hitler nachdenken und die Universität wäre der richtige Platz dies zu tun.

1939 beginnt die Aktion T4, die systematische Erfassung und Ermordung von in den Psychiatrien Inhaftierten in der Gaskammer wird von der Tiergartenstr. 4 in Berlin in 6 Anstalten geplant und organisiert, auf kirchlichen Proteste 1941 direkt in die Anstalten verlegt und das Personal, die Ideologie, die Technik, und die Verbrennungsöfen der Leichen 1942 zur Vernichtung der europäischen Juden nach Polen exportiert.

Trotz Ende des Krieges ging das Morden in den deutschen Anstalten bis ca. 49 weiter:
das systematische Verhungernlassen zugunsten der Lebensmittelrationen des »medizinischen« Personals ist belegt, allerdings nie geahndet worden, sie sind als der perfekte Mord zu bezeichnen. Er steht am Anfang der bundesrepublikanischen Psychiatrie-Geschichte. Über die Karrieren der beteiligten Psychiater hat Ernst Klee sehr gut recherchiert, z.B. waren an der Universität Heidelberg noch bis in die 90 er Jahre »Euthanasie« Assistenzärzte mit der Lehre betraut.

Danach ist die Psychiatrie seelenruhig zu Ihrem Zustand vor 1933 zurückgekehrt: radikale, systematische Entrechtung, Entwürdigung und Foltermethoden, um das Geständnis »Psychisch Krank« zu erreichen, die sog. »Krankheitseinsicht«, selbst einige der ganz wenigen, die den psychiatrischen Holocaust überlebten, werden wieder zwangsweise eingesperrt und mit Insulin und Elektroschocks mißhandelt. Der ideologische Zusammenhang ist der gleiche geblieben: die Bezeichnung als Erbkrankheit, das Wegsperren und mit aller Gewaltsamkeit das Privateste des Privaten, den eigenen Gedanken berauben, stigmatisieren und einem entfremden:

Ich zitiere Thomas Szasz aus:
»Interview with Thomas Szasz« in The New Physician, 1969

»Schizophrenie ist ein strategisches Etikett, wie es «Jude» im Nazi-Deutschland war. Wenn man Menschen aus der sozialen Ordnung ausgrenzen will, muß man dies vor anderen, aber insbesondere vor einem selbst rechtfertigen. Also entwirft man eine rechtfertigende Redewendung. Dies ist der Punkt, um den es bei all den häßlichen psychiatrischen Vokabeln geht: sie sind rechtfertigende Redewendungen, eine etikettierende Verpackung für «Müll»; sie bedeuten «nimm ihn weg», « schaff ihn mir aus den Augen», etc. Dies bedeutete das Wort «Jude» in Nazi-Deutschland, gemeint war keine Person mit einer bestimmten religiösen Überzeugung. Es bedeutete «Ungeziefer», «vergas es".

Ich fürchte, daß »schizophren« und »sozial kranke Persönlichkeit« und viele andere psychiatrisch diagnostische Fachbegriffe genau den gleichen Sachverhalt bezeichnen; sie bedeuten »menschlicher Abfall«, »nimm ihn weg«, »schaff ihn mir aus den Augen«.

Selbst die Traditionen der Nazi -Psychiatrie werden gepflegt, wie an der Umbenennung der Wittenauer Heilstätten in Berlin in Karl Bonhoeffer Nervenklinik 1957 leicht zu erkennen ist: Karl Bonhoeffer war ein eifriger Gutachter in NS-Erbgesundheitsgerichtsverfahren zur Zwangssterilisationen tätig und war sogar Richter am Erbgesundheitsobergericht. Er tat das alles so begeistert, daß er auch nach seiner Pensionierung damit fortfuhr. Diese Angaben hat inzwischen auf unser Drängen der Senat des Landes Berlin dem Abgeordnetenhaus gemacht. Die Anstalt will den Namen noch heute behalten. (Dazu gibt es inzwischen eine Ausstellung »The Missing Link«)

Außer individuellem Bitten gab es keinen politischen Protest zu dem hermetischen System:

Ich zitiere Theodor Schwebig wahrscheinlich 1905:

Hochgeehrter Herr
Landesvater!
Was soll ich schreiben?
Wie soll ich mich
ausdrücken? Ach! Oh!

Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte. Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte! Bitte! Bitte! Bitte!
Bitte, bitte, Hochgeehrter Herr und

König; eine
Gnadenstelle möchte
ich gerne haben.
Mit dem schönsten
oh, bitte um
verzeihung,.
da ich mit
Blei geschrieben,
denn es ist im
Falle der Noht geschehen.
Pität

Theodor Schwebig

1961 ist das entscheidende Jahr in dem sich die Geschichte gewendet hat: es ist das Erscheinungsjahr von Thomas Szasz Buch »The myth of mental Illness« und von Michel Foucault: »Folie et déraison. Histoire de la folie à l'âge classique«

Szasz als Psychoanalytisch ausgebildeter Psychiater und Foucault als Soziologe und Philosoph haben durch sich selber den Therapieunwilligen und Therapie-Resistenten zu einem Agenten im herrschenden System verholfen. Im Machtapparat der Wissenschaft hat sich der erste kaum sichtbare Spalt geöffnet, die erste notwendige Voraussetzung für seine Infragestellung, da beide Professoren waren und damit zwar als Außenseiter mißachtet werden konnten, aber doch selber nicht als angebl. psychisch Kranke kaltgestellt werden konnten. (Thomas Szasz wurde dieses Jahr anläßlich seines 80ten Geburtstags sogar von der eigenen Universität, die ihn seit den 60er Jahren bekämpft hatte, als herausragender Wissenschaftler mit einem Symposium geehrt und sein besonderer Beitrag zur Kritik an der Zwangspsychiatrie wird nie mehr zu verdrängen sein.)

Der Krach im Machtapparat der Universitäten hat dann Ende der 60er Jahre zu dem politischen Boom des Antiautoritären geführt, das selbstverständlich auch zu einer Kritik der psychiatrischen Schlangengruben geführt hat, allerdings zuerst mal mehr theoretisch mit den Publikationen von Laing, Cooper, Goffman, Foudrain.

Es gab einen italienischen Sonderweg: Um den Tirester Psychiater Basaglia entwickelte sich eine Kritik der Institution, die zwar am traditionellen Krankheitsbegriff festhielt, allerdings gesetzliche Änderungen auf den Weg brachte, eben die katholische Variante, die den Papst auf seinem Thron ließ.

Die deutsche Psychiatrie entwickelte sehr flink Abwehrmaßnahmen: mit der Psychiatrie - Enquete der Bundesregierung, deren Ergebnisse Mitte der 70er Jahre veröffentlicht wurden, werden die Schleußen zur Mittelbeschaffung der Selbstversorgung der Versorger geöffnet und ein Sektoraler, bzw. gemeindenaher psychiatrischer Kontrollapparat entwickelt. Mit der Hilfe-Rhetorik und christlichen »Nächstenliebe«-Projektionen aus dem Blickwinkel des psychiatrischen Gewaltmonopols sollten alle mal wieder in einem Boot sitzen und an die Entrechteten und Beleidigten wurden Süßigkeiten verteilt - leichterer Zugang zu Frührente, psychosoziale Patientenclubs usw. auf die im Laufe der Zeit die meisten reingefallen sind.

Diese Abwehr der Kritik traf in eine Zeit, als der universitäre Krach sich in viele avantgardistische Besserwissergrüppchen aufgespalten hatte - jeder Kommunist ist ja ein besserer Kommunist. Voraus ging das Ende des SDS. Aus Enttäuschung über die unerfüllten eigenen Bestrafungsbedürfnisse - Köpfe müssen rollen, sonst war es keine Revolution - wurde »Phantasie an die Macht« zu den Akten gelegt und nach den unzufriedenen Bürgern Ausschau gehalten: denen von Whyl. Die Natur sollte in Gefahr gekommen sein, als könnte sie vom Menschsein abgespalten werden, den man dann zu ihrem Feind erklären konnte - die Ökosophie ersetzte die Emanzipations-Hoffnungen, die Angst wurde wieder zum politischen Treibsatz und das ganze verkaufte sich am Besten mit Gesundheit, Healthismus - die Grünen begannen ihre Laufbahn in die Regierungsämter und sind in den Cherutti - Sakkos von Herrn Fischer verschwunden: Keiner erobert die Macht um eine Revolution zu machen, sondern man macht eine Revolution, um die Macht zu besetzen. Landläufig gesagt würde ich das die spießige Reaktion nennen.

In diesem Klima der Restauration findet 1980 die Gründung der Irren-Offensive statt.

Konstituierend sind die Bedingungen, daß ausschließlich für Ver-rückt erklärte Menschen an den Entscheidungen beteiligt sind, und daß Psychiatrie als Macht und Kontrollapparat sich sowenig wie möglich in der Gruppe reproduzieren darf. Deshalb werden alle Entscheidungen in wöchentlichen Plenumssitzungen getroffen, bei denen jede/jeder, der /die sich selbst als psychiatrisch Stigmatisierte/r bezeichnet, gleichberechtigtes Mitglied ist.

Die ersten Taten folgen schnell - es ist Hausbesetzerzeit in Berlin und ein leerstehendes Haus wird besetzt, soll zur Ver-rücktenburg werden, in der kommunikativ Zusammengelebt wird und einer Zwangseinweisung Entkommenen ein Versteck angeboten werden kann.

Durch die Übernahme der Druckkosten durch den Asta der Freien Universität konnte die Zeitung »Irren-Offensive« in einer Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt und unter die Leute gebracht werden.

Die Gründung der Irren-Offensive hat in Deutschland sozusagen das revolutionäre Subjekt geschaffen, ohne das die ganzen Bemühungen der psychiatrie-kritischen Akademiker im Sand verlaufen wären.

1983 geht diese erste Aufbruchsphase dadurch zu Ende, daß die besetzten Häuser geräumt werden und die Irren-Offensive dem fruchtlosen Konflikt mit der Polizei durch Räumung des Hauses aus dem Weg geht und in der Folgezeit den Zwängen ausgesetzt ist, die staatlich reglementierte Unterstützung mit sich bringt: Also Gründung und Eintragung eines gemeinnützigen Vereins, Zuwendungsanträge verfassen, die Ausgaben alle überprüfen lassen usw. sowie, mit am gefährlichsten, einen nach außen rechtwirksamen Vorstand zu wählen.

Die Erfüllung dieser Voraussetzungen hat uns dann ermöglicht, Mittel zu bekommen, um eine Wohnung im vierten Stock des ersten Hinterhauses in der Pallastr. 12 zu bezahlen und im weiteren Verlauf sogar Betroffene einstellen zu können. Den damit verbundenen Gefahren dachten wir durch andere Gewohnheitsrechte begegnen zu können: jede Woche tagt das Plenum und fällt nach den alten Kriterien und Regeln seine Entscheidungen, der Vorstand wird nur einmal im Jahr auf einer Mitgliederversammlung gewählt, um den Formalitäten genüge zu tun, tritt aber danach praktisch nicht mehr in Erscheinung.

Der kaum zu bewertende Vorteil dieses Vorgehens war, daß die Irren-Offensive sich stabilisieren konnte und trotz wechselnder Aktivisten eine Adresse wurde, die man sich merken konnte.

Dazu kamen die Zeitung, die durch die intensiven Verkaufsbemühungen von Werner Fuß zu einem Begriff im Westteil der Stadt wurde (die ersten 8 Ausgaben können als Sammelband bestellt werden).

Ein sehr wichtiges Thema wurde Ende der 80er Jahre die Selbsttötung.

Zwar kann man keinen mehr fragen, der sie erfolgreich begangen hat, aber sie hat doch trotzdem immer Gründe und keine Ursachen. Ob man diese Gründe teilen kann oder nicht, es bleibt eine Frage inwieweit ich dem anderen seine Entscheidungsfreiheit lassen möchte, oder eben einen Freund/in versuche durch Freiheitsberaubung daran zu hindern, und dafür das Risiko einer Strafanzeige in Kauf nehme.

Die Aussage der Irren-offensive war immer, daß die gewalttätige Psychiatrie und ihre Entwürdigung und Entrechtung viel mehr Menschen in die Selbsttötung treibt, als wenn es sie nicht gäbe. Ein berühmtes Beispiel dafür ist Ernest Hemmingway. Ein weiteres Argument zählt noch schwerer: Es gibt so etwas wie einen Preis der Freiheit, denn offensichtlich will z.B. niemand mehr die Mauer und den Schießbefehl und das ganze SED Regime, obwohl es inklusive der Mauertoten weniger Ermordete gegeben hat als heute durch die höhere Kriminalitätsrate. Auch das Autofahren oder Rauchen hat viele verkürzte Lebensjahre zur Folge und trotzdem würden wir ein staatliches Verbot für völlig unzumutbar halten.

Die Frage wurde durch zwei Ereignisse für uns sehr nah:

Ein von der Irren-Offensive Unterstützter und durch den Einsatz eines Rechtsanwalts wieder Freigekommener nahm sich kurz danach das Leben; wäre dies durch konsequentes Einsperren nicht geschehen? Eine zermürbende Frage, die viele Selbstzweifel aufkommen läßt und keine Handlungsperspektiven eröffnet.

Das andere Ereignis im Zusammenhang mit Selbsttötung war die unerwartete Zusage, das Projekt Weglaufhaus durch eine Millionenspende zu verwirklichen: der Vater eines Sohnes, dem sich in der Psychiatrie das Leben genommen wurde, wollte damit seinen Beitrag gegen das System leisten. Dabei haben sich allerdings einige Grundübel noch mal wiederholt bzw. verstärkt: ein neuer Verein wurde gegründet, durch relativ hohe Zuwendungen sollte Geld für bezahlte Stellen für den Betrieb reinkommen, und damit drohte das ganze zu einer entpolitisierten sozialpädagogischen Hilfsmaßnahme zu werden. Die unterschiedlichen Konzepte prallten unversöhnlich aufeinander und in diesem Konfliktfall kommt es zum Krach: eine knappe Mehrheit konnte die Minderheit aus dem für das Projekt Weglaufhaus gegründeten Verein rausschmeißen. Die genauen Konfliktlinien sind in der Irren-Offensive Nr. 4 dokumentiert.

Damit sind wir bei einem unserer Hauptprobleme angelangt: durch die totale Ohnmachtserfahrung einer psychiatrischen für »krank« Erklärung des Privatesten, der eigenen Gedanken, bereitet die Zusammenarbeit untereinander immer wieder große Schwierigkeiten. Diese totalst mögliche Entfremdung führt dazu, da wir ja nun mal nur zeitweise Heilige sind, daß ein kleiner Machtzuwachs in der Gruppe schon wieder zu einer Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen führt, eine Hackordnung, die in der Absicherung und dem Ausbau dieses kleinen Machtzuwachses leicht das Ziel aus den Augen verliert: daß die unterdrückenden und die Ohnmacht verursachenden Verhältnisse und Personen dafür verantwortlich gemacht werden und nun mal eben leider politisch auf die Veränderung der Verhältnisse hingearbeitet werden muß. Dabei spielen die Bestechungsmöglichkeiten eines Milliardenschweren Psycho-Gewerbes eine nicht zu unterschätzende Gefahr, der schon Sigmund Freud erlegen ist. Kann man sich Armut und eine freie Meinung leisten ohne den Begehrlichkeiten eines luxuriöseren Lebens zu erliegen?

Es gibt aber auch Erfreuliches zu berichten: die Idee einer Irren-Offensive hat sich in den 90er Jahren auf drei weitere Stützpunkte verteilt: die Irren-Offensive Ruhrgebiet, die Irrenoffensive Marburg und eine kleine in Regensburg.

Wir konnten 1994 eine Fahrt in die USA unternehmen und hatten dabei insbesondere mit der großartigen Kate Millett einen heiteren und viele Ideen gebenden intensiven Meinungsaustausch. Außerdem besuchten wir die antipsychiatrischen Gruppen um New York und Washington. Diese Fahrt hat meiner Ansicht nach beim Senat , der sowieso sparen wollte, wo er nur kann, unmittelbar im Anschluß daran in einer spießigen Reaktion, zu einer totalen Sperre unserer Mittel geführt, deren genauerer Begründungsvorwand eine extra Geschichte ist. Die Abhängigkeit von den Zuwendungen haben wir daran anschließend in voller Härte zu spüren bekommen: der sonst inaktive Vorstand versuchte in Gehorsamkeitsgesten gegenüber dem Senat die Situation zu wenden, zog in dieser Krise die Macht an sich, mißachtete Plenumsbeschlüsse und demontierte somit dieses Grundelement der Irren-Offensive. Es gab über mehr als ein Jahr keine Einberufung einer Mitgliederversammlung, die dies hätte korrigieren können, wir mußten die Pallaststr. aufgeben und ich kann diesen Zustand leider nur wie einen Hühnerstall, in den ein Sylvesterknaller geworfen wurde, beschreiben. In diese Zeit fällt auch der Tod von Werner Fuß.

Eine Maßnahme 1995 war deshalb uns intensiv am Aufbau des Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg zu beteiligen, und es gelang in der Satzung die folgende Aussage als einen der wesentlichen Ziele zu verankern: auf die Abschaffung von Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung und das Verbot der E-Schockbehandlung hinzuwirken.

Außerdem konnten wir unter der Verantwortung des Landesverbands und in engster Kooperation unseren ersten öffentlichen T4 Umzug von der Gedenkplatte in der Tiergartenstr. 4 zur nächsten Psychiatrie, der Charité, veranstalten. Dieser findet seither jährlich satt, nun schon zum 4.ten mal (1998).



Wie durch ein Wunder gelang es Anfang 1996 bis zu einer Wiederaufnahme der Förderung durch den Senat Spendenmittel aufzutreiben und wir konnten Anfang 1996 wieder eigene Räume in Berlin Friedrichshain zusammen mit dem Landesverband beziehen; wieder in einem zuvor besetzten Haus, dessen Besetzer aber legalisierte Verhältnisse geschaffen hatten. Dort haben wir wesentlich günstiger gelegene Räume im Parterre mit eigenem Eingang und Fenstern zur Straße, und wir einigten uns mit den drei dort beheimateten Vereinen, der Irren-Offensive , dem Landesverband und dem Psychiatrie-Beschwerdezentrum auf den Namen Werner-Fuß-Zentrum dafür.

Noch ein Wort zu den Psychiatrie-Erfahrenen. Sie erfüllen ein Kriterium der Irren-Offensive, ausschließlich Menschen mit der Erfahrung einer psychiatrischen Stigmatisierung können darin Entscheidungen fällen, aber das deutsche Vereinsgesetz hat mal wieder zugeschlagen, der Vorstand entbindet die Mitglieder von eigener Aktivität und die oben geschilderten Schwierigkeiten sind auf der Tagesordnung.

Tatsächlich ist der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener einerseits die größte Gefahr, die politische Kritik am psychiatrischen System wirkungslos zu machen, da sehr viele seiner Mitglieder ihre »Krankheits«-einsicht in den verschiedensten Formen wie ein Monstranz vor sich her tragen und mit dieser Opferhaltung gerade das System stabilisieren. Andererseits bietet der Verband selbstverständlich einen unmittelbaren Resonanzboden für die Bekanntmachung unserer Vorstellungen. Allerdings muß ich zugeben, daß es ein sehr mühsames Unterfangen ist, auf Krankheitseinsicht »abgerichtete« Menschen von ihrem letzten »Liebesdienst« abzuhalten, den sie ihren Unterdrückern bzw. Bestechern tun wollen - Ihre Dankbarkeit in Form einer Behandlungsvereinbarung mit der nächstliegenen geschlossenen Abteilung zu dokumentieren, die sowieso nur eine schriftliche Meinungsäußerung darstellen kann, da die Psychiatrie für ihre menschenrechtsverletzende Gewaltanwendung einen öffentlichen Auftrag in Form von Psych KG und Zwangs-Betreuungsrecht vorweisen kann.

Zum Abschluß noch ein Nachtrag über die aktuelle Situation (10/2000):

Seit Ende 1996 ist es uns gelungen mit Teilen der Freien Universität wieder beste Kontakte aufzubauen

* der Asta unterstützt uns.
* Mit Prof. Kamper gibt es eine Kooperationsvereinbarung wegen der akademischen Unterstützung bei der Arbeit für das »Haus des Eigensinns«, ein Projekt das ebenfalls eine extra Geschichts-Erzählung benötigten würde.
* der ehemalige Vizerektor der Universität Marburg, Herr Prof. Dietmar Kamper hat in Zusammenarbeit mit Frau Prof. Treusch - Dieter Prof. Bruder und Prof. Narr mit uns und der Volksbühne das Foucault Tribunal zur Lage der Psychiatrie organisiert. Sie haben sich dafür sogar den Versuch eines Rüffels vom Präsidenten der freien Universität eingehandelt. Wir bitten um Unterschriften für das Urteil zum Anschluß dieser Veranstaltung.
* Wir entwickeln zusammen mit dem BPE ein bundesweites Rechtsanwältenetz,
* Wir sind an der Planung eines internationalen Russell Tribunals im Jahr 2001 in Berlin beteiligt, bei dem die World Psychiatric Association sich verteidigen soll
* Wir haben vorletztes Jahr an der Freien Universität Berlin einen Lehrstuhl für Wahnsinn inauguriert, der zwar noch etwas vagabundierend schwer zu lokalisieren ist, aber bestimmt noch von sich reden machen wird. Die Zusammenarbeit mit Prof. Bruder und die lebhafte Beteiligung der Psychologie-Studenten der FU ist dabei besonders erwähnenswert. Schließlich hat kein geringerer als Michel Foucault ihn als erster schon Anfang der 50er Jahre proklamiert, mit sich selbst als Lehrstuhlinhaber.
* Letztes Jahr hat es in der Veranstaltung: Rolling Nuts hit the Mental Health Machine gegeben, deren Höhepunkt die Konfrontation mit dem 11ten Weltkongress der Psychiatrie in Hamburg war, der die absolute Ungeheuerlichkeit eines Geschichtsrevisionismus begeht, so als sei nichts gewesen, die deutsche Psychiatrie wieder international anzuerkennen.
* Und nun zum entscheidenden Durchbruch: der Vorsorgevollmacht:
Damit ist die Zwangspsychiatrie zum Untergang verurteilt!
Dieses Urteil können wir nun fällen, da wir wissen, daß unsere Einschätzung und Analyse der Psychiatrie, zu der identitätsstiftend der Zwang gehört, sich in konkreter gesellschaftlicher Praxis bewahrheitet: durch das Nadelöhr einer bestimmten Vorsorgevollmacht, die seit dem 1.1.1999 gesetzlich verankert ist, kann man in der BRD seinem Unglauben an die Existenz einer angebl. »psychischen Krankheit« dokumentieren und sich psychiatrischer Gewalt rechtswirksam entziehen. Das hat zur Folge, daß man nicht mehr zwangseingewiesen, zwangsbehandelt oder zwangsbetreut werden kann, und damit hat sich das Fundament von Psychiatrie als Treibsand erwiesen: Wenn sich auch nur eine Minderheit psychiatrischer Gewalt verwehren kann, dann wird damit offenbar, daß es sich bei dem ganzen Konstrukt von »psychischer Krankheit« nur um ein Glaubensdogma handelt.

Dieses Dogma kann von nun an keine wissenschaftliche »Objektivität« mehr für sich in Anspruch nehmen! In der alltäglichen Praxis beweisen diese Ungläubigen erfolgreich, daß sie ohne Glauben an die Existenz von »psychischer Krankheit« leben können, und somit offensichtlich nur von dem Gewaltapparat der Nomenklatur des Folter- und Kerkersystems Psychiatrie eine Schein-Wissenschaftlichkeit vorgegaukelt werden konnte. Mit Ihrem alltäglichen Leben beweisen diese Ungläubigen, daß es kein psychiatrisches Wissen gibt, keine Psychiater, keine Therapeuten, sondern nur Priestern einer Religion ergebenst gedient wird, die sich inquisitorischer Mittel bedienen kann. Die Versklavung der ganzen Gesellschaft gelingt diesen »Priestern« durch die Bedienung eines spießiges Mehrheits-Ressentiment: der Sündenbock muß der Auszugrenzende und demzufolge mit Hilfe des psychiatrischen Jargons ausgegrenzte Andere sein.

Womit wir beim letzten Punkt angelangt sind: wie schlagen sie zurück?
Na mit was wohl? Wie als Vollendung des Nazitraums vom gesunden Volkskörper tritt die psychiatrische Genetik auf den Plan. Die Kandidatengene für Schizophrenie sind schon ausgeguckt und die Methoden für die pränatale Gleichschaltung bekannt.

So kehrt die Psychiatrie am Ende des Jahrhunderts an den Ausgangspunkt meines Berichts zurück, das Jahr 1933. Deshalb schnellstens die Vorsorgevollmacht unterschreiben, damit auch Du nicht mehr zum »Erkrankten« und potentiellen Genozid-Opfer werden kannst!

Diese Erzählung ist von René Talbot


   User-Bewertung: /
Jetzt bist Du gefragt! Entlade Deine Assoziationen zu »Irrenoffensive« in das Eingabefeld!

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »Irrenoffensive«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »Irrenoffensive« | Hilfe | Startseite 
0.0336 (0.0046, 0.0275) sek. –– 853860847