der einzige ruhende pol in der stadtmitte ist die honigfrau. ihr kleiner laden liegt in einer seitengasse und ist unglaublich altmodisch. als dorst noch als stadführer arbeitete, führte er ganze horden von amerikanern, japanern oder berlinern in den honigladen, und sie kauften alles leer. die honigfrau hielt den überfällen mit gelassenheit stand. für das geschäft waren sie gut. niemand weiß, wie lange der laden noch bestehen wird. die honigfrau macht keine werbung. man kennt sie, oder man kennt sie nicht. außen am laden hängt ein kleines, handgeschriebenes schild, das man nur sieht, wenn man danach ausschau hält.
als dorst eintritt, wird ihm für den bruchteil einer sekunde schwindelig in der wärme des bittersüßen wachsgeruchs. er schließt kurz die augen und wartet darauf, den schritt der honigfrau auf dem linoleumboden zu hören. wenn keine kunden da sind, sitzt sie im hinteren teil des ladens, der durch einen gewürfelten vorhang abgeschirmt ist. dorst weiß nicht, was sie dort tut. er stellt sich vor, daß sie tee trinkt oder honigwaben auskratzt. vielleicht liest sie aber auch einfach nur zeitung oder guckt vor sich hin. als er die augen öffnet, steht sie schon hinter der theke. sie ist eine zähe kleine person mit ledrigem gesicht und blanken augen. dorst weiß nicht, wie alt sie ist, und glaubt nicht, daß sie jemals ein junges mädchen gewesen ist. sie sagt nie mehr als nötig, und ihre stimme ist ausgetrocknet.
morgen, sagt dorst. ebenso, sagt sie, nicht überrascht, da sind sie ja. es gibt keine auslage und keine dekoration. lange reihen mit honiggläsern stehen auf beschichteten spanbrettern, darüber honiglikör, in drei großen glasbehältern neben der kasse die bienenwachskerzen. sonst nichts. die honigfrau holt die geriffelten holzstäbe, die dorst für die honigprobe braucht. den rapshonig hatten sie letztes mal, sagt sie und gibt ihm ein stäbchen. sonnenblume? vielleicht schwarzwaldtanne, sagt dorst und reicht ihr ein glas. sie öffnet langsam den schraubverschluß, der sich schmatzend vom gewinde löst, und hält ihm das glas hin. er taucht den stab in den leuchtenden honig, zwirbelt ihn zwischen zeigefinger und daumen und schiebt ihn in den mund. wunderbar, sagt er. etwas bitter. die honigfrau versteht den befund so, wie er gemeint ist, und legt stolz den kopf zur seite. sie wissen schon, sagt dorst. zweimal, sagt die honigfrau, nimmt das glas und schwingt es leicht, bis der honig zähe wellen schlägt. dann stellt sie es wieder zurück. im frühling hab ich wieder den flieder, sagt sie. da müssen wir wohl noch warten, sagt dorst und schaut auf ihre hände, die zwei gläser mit tannenhonig in papier einschlagen, erst einen bogen, dann noch einen bogen quer. so ist es, sagt sie, stellt das paket neben die kasse, schaut durch das ungeputzte fenster auf die gasse und streicht sich das hauskleid glatt. was sie wohl nach feierabend trägt? oder am wochenende. dorst stellt sie sich in einem alten frotteebademantel vor. hosen sind undenkbar, jogginganzüge erst recht.
und herr hubert, sagt er. ach sie wissen ja, sagt sie. er will nicht mehr. und kann’s nicht lassen. dorst hat herrn hubert noch nie gesehen. vielleicht liegt er hinter dem gewürfelten vorhang und tut keinen mucks. spricht er, fragt dorst. nur, wenn ich mit der jahresabrechnung komme, sagt die honigfrau, die zeige ich ihm. dann sagt er was. sie wissen ja. im rechnen war ich noch nie gut. dorst nickt, und beide lächeln. aber ihre zwei honig, die krieg ich noch gerechnet, sagt sie. dorst schaut in die blanken augen und bezahlt. den honig packt er in die tasche. und wenn sie ein geschenk für ihre verlobte brauchen, sagt die honigfrau. dorst will ihr fast von elner erzählen, wie jedesmal, und tut es nicht. bis zum nächsten mal, sagen beide gleichzeitig. dorst stößt die tür auf, die immer schabt, und tritt auf die straße.
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