In der Stadt meiner Kindheit war die evangelische Freikirche ein Sammelbecken der sogenannten besseren Kreise. Dorothee K's Mutter zum Beispiel - ihre Tochter rannte mir mal in der Grundschule die ganze Pause hinterher, auf meinen zeittypischen Sternzeichenanhänger deutend, immer wieder kreischend »Du hast ein Amulett! Du hast ein Amulett!« Sie war trotzdem ein nettes langes blondes Mädchen, Sucht und Altenpflege haben sie zerstört, kürzlich habe ich sie wiedergetroffen.
Dorothees Eltern lebten in einer Straße, die nach ihrem Großvater benannt war. Dort gab es nur Villen, die schönste gehörte ihnen. Ihre Mutter hatte, was ich als ein häufig wiederkehrendes Merkmal von Freikirchlerinnen bezeichnen würde, einen riesigen Dutt von der Größe eines Krähennestes. Bei Kindergeburtstagen konnte ich minutenlang auf diesen Haarknoten starren, er sah immer so aus, als ob im nächsten Augenblick ein Vogelküken aus ihm schlüpfen würde. Ich stellte mir vor, er wäre mehrere Kilos schwer und röche nach Tosca, Staub und Federn.
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