Als jene halbfertige Elegie auf meine verstorbene Mutter, die ihr greiser Bruder während des Trauerkaffees vollmundig ankündigte zu Gehör bringen zu wollen, dann jedoch unter Schluchzern abbrach (er, der Kleinstauflagenlyriker, fand sich schon immer sehr bewegend), mir den Schrieb rüberreichte, mit der Bitte, statt seiner fortzufahren. Und ich, der ich selbst meine wenigen gelungeneren Elaborate einem Publikum nur in Schriftform zumuten kann, mußte mich durch diese Ansammlung von gereimten Kindheitsanekdoten hangeln, in schwer lesbaren Spinnwebschrift gehalten und ab ihrem 14ten Lebensjahr nur noch in sapphischen Fragmenten gehalten. »Und es war, als sollte die Scham ihn überleben.« Nachher drückte er mir noch einen Briefumschlag in die Hand, »für die Grabpflege«, wie er anmerkte. Das Kuvert liegt immer noch ungeöffnet dort, wo ich es nach unserer Heimkehr spitzfingrig abgeworfen habe, fürchtend, neben dem darin zu vermutenden Fünfziger könne sich auch noch etwas handschriftliches befinden. Aber bevor die derzeit recht moderate Inflation diesen Schein völlig verzehrt hat, werde ich wohl die Kraft finden, den Umschlag zu öffnen. Spätestens nach Onkelchens Beerdigung; anders als meine Mutter ist er nämlich schon länger überfällig gewesen.
|