Dem schmutzigweißen Partyzelt in der Fußgängerzone von Bad Radongasenbaden sieht man an, daß es schon ein Veteran ungezählter Schützenfeste ist. Zahlreiche Flickstellen und gräulichgrüne Regenlaufspuren tragen nicht zu einem einladenden Äußeren bei. Doch seit zwei Wochen ist es es die Anlaufstelle für eine wachsende Zahl von Bürgern geworden, längst regeln Einlaßmarken den geordneten Zugang.
Es ist das Mutterhaus einer neuartigen Friedensbewegung, nach dessen Vorbild inzwischen eine Vielzahl von Ablegern in Deutschland und europaweit entstanden ist. W4P, das zeitverhaftet–moderne Akronym für 'Wank for Peace' steht für Onanie im Namen des Friedens und ist, so steht es in der Präambel der Gründungsurkunde von Justus Röhrlein, dem charismatischen Hansdampf der Radongasenbadener Kulturszene, »der Versuch, bislang achtlos vergeudete Ressourcen zu einem positiven Signal der Völkerverständigung umzuwidmen.«
Gerade läßt sich schwer atmend der korpulente pensionierte Studienrat Dr.F. in die Polster der dünngeschabten Ledercouch fallen. »Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen,« schnauft er. Ein Glas Ayran für 30 Cent, ein wenig Ravel vom Tonband, und nach rund 10 Minuten meldet der passionierte Boulespieler Vollzug. Tamara, die ehrenamtliche Helferin, nimmt das Kleenextuch entgegen, auf das zuvor F.'s Namen mit wasserfestem Stift aufgetragen wurde, faltet es behutsam zusammen und legt es zu den anderen in die große Gitterbox, die schon zu dreivierteln gefüllt ist. »In spätestens fünf Tagen können wir sie nach Washington verschicken,« strahlt sie stolz.
Hinter der Trennwand neben Dr. F. sitzt Dennis V., ein 15jähriger Realschüler, dessen unreinlich anmutender Jeansschritt in überraschendem Gegensatz zu seinen kunstvoll gegelten Haaren steht.
»Ich komme seit dem zweiten Tag hier ins W4P–Zelt,« erzählt er. »Manchmal dreimal am Tag, ich habe schon mal SoWi dafür blaugemacht,« gesteht er grinsend.
»Anfangs war die Resonanz eher spärlich,« erzählt Hennes Röhrlein, der Initiator dieses ungewöhnlichen Projektes, »aber seit wir unsere eigene Site im Netz haben, und spätestens seit der Freischaltung der Webcam, ist der Zuspruch enorm.« Die Kritik aus dem Mund der Radongasenbadener Feministinnen ist längst verstummt, seitdem die Parallelaktion 'Kerzen für den Frieden' angelaufen ist. Auch die Kritik von besorgten Elternverbänden und den Jungunionisten, hier würden primitivste menschliche Regungen zu propagandistischen Zwecken mißbraucht, ist längst verstummt, seit Röhrlein und seine Anhänger in einer Charity–Aktion die örtlichen Altenheime, die KJG, den CVJM und andere Institutionen besucht haben.
Bei unserem Abschied drückt uns Röhrlein ein zusammengefaltetes Stück Zellstoff in die Hand: »Zeigen sie das ihren Lesern, damit sie sehen, daß es hier nicht nur um Gefühlsbekundungen einer sprachlosen Mehrheit geht« , sagt er. Als wir das knisternde Tüchlein entfalten, lesen wir zwei statt einem Namen: KarlLehmann und EugenDrewermann, so nah wie es keiner vermutet hätte. Den Einwand, gerade so ein historisches Dokument müsse er doch in seiner Sammlung belassen, wischt er lächelnd vom Tisch: »Keine Sorge, davon haben wir noch ein gutes Dutzend...« Spricht es, streift sich die Gummihandschuhe über und geht zurück in das Zelt mit der von der letzten Walddisco übriggebliebenen Beschriftung 'Eldorado', wo sich gerade die Fußballmannschaft der örtlichen B–Jugend sich in gutmütig–gespielter Rauflust um die Einlaßmarken balgt.
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