Die agonale Grundlage des Kulturlebens in archaischen Gemeinschaften ist durch nichts in so helles Licht gerückt worden wie durch die Beschreibung des Brauchs der Indianerstämme in British Columbia, der in der Ethnologie den Namen Potlatch führt. In seiner typischsten Form, wie sie besonders für den Stamm der Kwakiutl beschrieben ist, ist der Potlatch eine große Festfeier, bei der die eine von zwei Gruppen mit viel Aufwand und unter allerlei Zeremoniell in großem Maßstab Geschenke an die andere wegschenkt, ausschließlich mit der Absicht, ihre Überlegenheit über die andere zu beweisen. Die einzige, dann allerdings auch notwendige Gegenleistung besteht darin, daß die andere Partei verpflichtet ist, das Fest binnen einer gewissen Frist ihrerseits zu wiederholen und dabei soweit wie möglich zu übertrumpfen. Diese Art von Wegschenkfest beherrscht das ganze Gemeinschaftsleben der Stämme, die es kennen: ihren Kult, ihre Rechtsbräuche, ihre Kunst, Geburt, Heirat, Jungmännerweihe, Tod, Tätowierung, Aufrichtung eines Grabmals, alles gibt Anlaß zu einem Potlatch. Ein Häuptling gibt einen Potlatch, wenn er ein Haus baut oder einen Totem-Pfahl aufrichtet. Beim Potlatch geben die Geschlechter oder die Klans ihre heiligen Gesänge zum besten und stellen ihre Masken zur Schau, und die von den Klanggeistern besessenen Medizinmänner toben ihre Raserei aus. Die Hauptsache aber bleibt das Austeilen von Gütern. Der Festgeber vergeudet dabei den Besitz seines ganzen Klans. Dadurch aber, daß er das Fest mitmacht, wird der andere Klan schuldig, einen Potlatch in noch größerem Ausmaß zu geben. Bliebe der Schuldner in Verzug, dann würde er seinen Namen, sein Wappen, seine Totems, seine Ehre und seine bürgerlichen und religiösen Rechte verlieren. So wechseln die Güter innerhalb des Stammes auf abenteuerliche Weise zwischen den vornehmen Häusern hin und her. Man nimmt an, daß der Potlatch ursprünglich stets zwischen zwei Phratrien eines Stammes abgehalten worden ist.
Im Potlatch beweist man seine Überlegenheit nicht einfach durch Wegschenken von Gütern, sondern, in noch schlagenderer Weise, durch Vernichtung seiner eigenen Besitztümer, um prahlend sehen zu lassen, daß man sie missen kann. Auch diese Zerstörungen gehen mit dramatischem Rituell und unter hochmütigen Herausforderungen vor sich. Die Form der Handlung ist stets die eines Wettstreits: Zerschlägt ein Häuptling einen kupfernen Kessel, verbrennt er einen Haufen Decken oder zerstört er ein Kanu, dann ist der Gegner verpflichtet, mindestens ebensoviel oder lieber noch mehr an Wert zu zerstören. Herausfordernderweise schickt man seinem Rivalen die Scherben zu oder trägt sie als Ehrenzeichen zur Schau. Von den mit den Kwakiutl verwandten Tlinkit wird erzählt, daß ein Häuptling, wenn er einem anderen Schmach antun wollte, eine Anzahl seiner eigenen Sklaven tötete, woraufhin der andere, um sich zu rächen, verpflichtet war, eine noch größere Zahl seiner eigenen Leute zu töten.
Johan Huizinga: Homo Ludens, 62 ff. ,rde 21 (1958)
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