Lieber Yannick
Du warst so ein süßes kleines Kerlchen, und einen Augenaufschlag später bist Du ein gebildeter erwachsener junger Mann mit dem man sich unterhalten kann. Ich sehe vieles in Dir: Du kannst Dich humorvoll und manchmal ein wenig sarkastisch von deinen Eltern abgrenzen bei trotzdem großer, jeweils verschiedener Liebe zu Deinem Papa und deiner Mama; Du hast Einiges an an Auseinandersetzungsübungen mit dem Weiblichen Geschlecht anhand Deiner Schwester erfahren und zudem Deine Eltern oft lautstark streiten erlebt. Und trotzdem raufen Sie sich immer wieder zusammen; Du hast mit einer wunderbaren Nonchalance dieses bayrische Abitur aus dem Ärmel geschüttelt, mit einem klaren Ziel das Du zügigst bewältigst und anscheinend mit Spaß. Großartig!, auch wenn du weist das die eine oder andere physikalisch/mathematische Formel vielleicht doch nochmal in deiner Karriere eine gewisse Rolle spielen könnte und Dich bitte nie für einen komplett fertigen Musiker hältst, bitte!, mit offenen Ansichten über »wie was ganz genau sein muß« Das gilt natürlich nicht für das Zerpflücken des Suppenfleischs mit den Fingern.
Und mir liegt noch etwas anderes auf dem herzen, dieser schwelende »stille«, »wortlose« Streit der seit einigen meiner Schriften herrscht. Weden bin ich Michael und Ulla dauerhaft böse weil vielleicht die Hälfte meiner ungefähr zwischen 1990 und 2000 verfassten Schriften (zum Teil deine Kinderjahre) ohne mich hinzuzuholen in die Mülltonne gewandert sind, noch wünsche ich mir daß ihr alle in diesen Schreiben mehr seht als eine momentane Gefühlsäußerung. Um jene Zeit gerecht zu beurteilen müßte man meine Tagebücher heranziehen in denen ich seit 2007 meine Medikamentenstatistik verfasse. Dort ist alles Chronologisch aufgezeichnet, meine Nachhilfe, meine Überlegungen dazu, meine musikalischen Kompositionen, meine Anzahl Orgasmen, meine zwischen den Blastereinträgen unabgeschickten Briefe an Familienmitglieder, wo, in welchen Papierkörben ich welche Medikamente finde;
Für Manches Geschriebene schäme ich mich im Nachhinein wirklich sehr, doch dann denke ich, daß auch ich viele lautstarke und verletzende mündliche Auseinandersetzungen zwischen Deinen Eltern erlebt habe, manche auch zwischen Deinem Vater und Yara, einige weniger zwischen Deinem Vater und Dir. Deine Mutter versucht sich dagegen oft mehr in wiederholten Ermahnungen und Droht »Konsequenzen« an, ist bei dauerhafter »Bearbeitung« kompromissbereiter ?. Ich weiß das nicht genau. Marc spielt viel Theater. Weil er eigentlich milde sein möchte. Jedoch glaubt, etwas »Härte« erziehe besser. Ich weis nicht. Vielleicht werdet Ihr Beide bei so streitenden Eltern besser auf die rauhe Berufswelt vorbereitet in der euch immer irgendwoher ein sadistischen autoritäres Arschloch begegnen kann. Vielleicht bin ich deshalb so ungeeignet für die Berufswelt. Weil das mein Grundcharakter ist den ich ums Verrecken ungerne zulasse. Und immer das Gegenteil beweisen will. Aber manchmal schlägt es eben bei mir durch. Ich versuche das so gut wie möglich abzumildern weil ich um die Wirkung weis. Vielleicht spielen Deine Eltern nur das heftig streitende Paar. Obwohl Sie sehr überzeugend sind.
Vielleicht glauben Sie das sei die beste Erziehung zur Dialektik. Vielleicht müssen Sie sich Selbst so anbrüllen um in Euren Augen als gerecht zu erscheinen wenn sie in der Folge Einen von Euch Beiden anbrüllen. Stell' Dir mal vor, Sie wären Beide ständig einig und noch immer wie ein verliebtes Paar und würden Euch dann anbrüllen, wie würdet Ihr euch da fühlen, oder Sie würden Euch irgendwie »Egal« behandeln, neutral, »ihr esst halt hier« und »wir bezahlen Vieles für euch«, und ja, »Wäsche waschen wir sogar auch manchmal mit«, »aber seht zu daß Ihr sobald als möglich finanziell selber klarkommt«; ich weis nicht, das ist auch nicht so superschön. Man sehnt sich immer irgendwie nach Fürsorge, Miteinander, Anteilnahme, irgendwie Liebe:
Ich hatte eine vorpubertäre Zeit in der ich die körperliche Liebe allerheftigst ablehnte (»so etwas mit einer fremden Frau kann ich niemals machen«), dann nach einem dreimonatigen Frankreichaufenthalt wo ich in La Londe an einer Bar arbeitete und wo ein paar hübsche junge Mädels herumliefen, sehnte ich mich doch dann plötzlich ganz heftig nach Berührung mit einem dieser Mädchen/jungen Frauen, nach einer Freundin, einer dauerhaften Freundin, die ich ganz am Ende dieser Reise, quasi schon auf dem Rückweg, kennenlernte. Sie war neun Jahre lang eine tolle Frau. Gegen Ende wurde es unschön. Ich wollte verlässliche Zusagen bezüglich der »Sexualität«. Sie konterte, »der Andere liebt mich auch so« und »Du bist unreif, wie ein Kind«. Das ist hart.
Eigentlich war die Liebe meine Motivation zu schreiben. Ich verfasste Koffer voller Briefe an Sie, über Jahre hinweg, in denen ich alles über meine spätere Entwicklung vorsorglich vorausnahm.. Ich wußte, daß ich ein »allesbesitzenwollender«, beeinflussenden Charakter hatte. Eines wiederholte ich immer wieder: "so sehr wir uns später vielleicht einmal streiten sollten, wisse, es ist immer nur Theater, um unsere hilflose Zuneigung auszudrücken, um Andere, Mithörende zu erziehen, seht her, wie sehr sich ein Paar streiten kann und trotzdem bleibt es zusammen, weil es innerlich weis, eigentlich lieben wir uns, wir zeigen uns nur gegenseitig unseren vollständigen Charakter. Keine Angst vor einer Person zu haben, ihr auch alles Negative zeigen zu dürfen ohne ihren Respekt zu verlieren, mehr und Besseres fällt mir zu Liebe nicht ein. Ich wollte das immer mit einer Frau haben, und eigentlich nur mit einer Frau. Und als ich es hatte habe ich meine Brüder immer alle völlig vergessen. Habe gedacht, denen wirds schon irgendwie gut gehen.
arcel sgte, »das ist bitter«, Michael zog sich in seine »philosophische« Welt zurück. Marc versucht die Versöhnung immer wieder und bekommt zwischendurch seine »Wut«. Er kann ebenso wie ich nicht richtig aussprechen was er denkt, jedenfalls nicht sehr ruhig. Ich habe das Schreiben als Ventil, er hat vielleicht seine Frau oder den Stolz auf seine Kinder.
Die Reaktionen von Marc und Marcel haben mich am meisten berührt. Mit Michael komme ich weniger gut zurecht. Er spricht irgendwie falsch. Er sagt »Könntest Du Dir vorstellen den Flügel in deinem Eckzimmer zu haben«, oder »Wir kümmern uns um die besten Ärzte /die besten Medikamente«. Dann gebe ich ihm den Auftrag nach seiner Nachfrage »soll ich bei der Räumung deiner Sachen im Enzianweg auf etwas Besonderes achten ?«, »keine handschriftlichen Kladden, keine Klaviernoten, keine Schul- und Universitätslehrbücher in den Müll«, und finde die Mülltonne voll handgeschriebenen Heften und einigen Klaviernoten. Das ist auch hart.
Ich bewundere Marcel, wie er kämpft um seine finanzielle Existenz, wie er sich relativ friedlich von seiner Frau getrennt hat, wie er viel arbeitet und sich um seine Kinder sorgt. Und noch die Größe hat mir für zwei unkonventionelle Nachhilfestunden bei seiner Tochter 19.60 Euro zu zahlen (25 minus Zugfahrkarten).
Ich bewundere Marc, wie er kämpft, mit deiner autoriät erzogenen Mutter, wie er mit seiner geringen Schulbildung sich über viele sicher mühsame Stationen so weit nach oben gearbeitet hat, daß er in meinen Augen heute so spezialisiert wie ein Akademiker ist und dabei eine solide handwerkliche Grundausbildung hat, ich bewundere auch deine Mutter, ihren Arbeitswillen, ihre Loyalität gegnüber dem Arbeitgeber. Sicher kann auch sie heute in vielen Bereichen der Chemie etwas, daß ich sicher nicht mehr kann oder noch nie konnte und es besteht kein Grund mich über Sie zu erheben nur weil sie vielleicht den Umgang mit einer bestimmten sehr großen Zahl nicht beherrscht. Das ist in wenige regelmäßigen Stunden relativ gut erlernbar.
Ich wünsche mir, das Beide verstehen, daß einige meiner Schriften einen kleinen und heftigen Wutausbruch darstellen, eine Art »Verschriftlichung Ihres Mündlichen«, und das ich das »wohlverstanden« eigentlich gelegentlich brauche.. Als Möglichkeit auszupsten.. Als Korrektur. Ob das Liebe verträgt. Gebet und BITTE.
Wenn ich ein verlässliches Zeichen bekommen könnte das alles wieder gut ist. Ich putze eigentlich doch ganz gerne. Aber nur wenns sich lohnt. Wenns sich ein ganz klein bißchen lohnt. Das wär schön genug. Eigentlich hat's sich bisher ja auch schon immer ein wenig gelohnt. Medikamentenausbeute, neue Schuhe, etwas Geld eingespart. Du könntest mir bei den Abrechnungszetteln vertrauen zumindest soweit, daß ich nichts vorzulegen bräuchte. Und wenn ich mir davon ab und zu ein kleines Kühlschrankextra für mich leistete.
Wirst Du das lesen mein kleiner Großer?
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