Zu dieser Art volksverdummenden Theaters rechne ich auch das »Theater der moralischen Aufrüstung«, wie es von einer
1
rechtsgerichteten Organisation praktiziert wurde, das »die geistige Säuberungsaktion« zur Voraussetzung der »Gesundung der Nation- deklariert hat. Ein Stück, Der Tiger, handelte von einer japanischen Industriellenfamille, die sehr reich, aber auch sehr unglücklich war. Der Vater ging fremd, die Mutter wurde krank vor Kummer, der Sohn rauchte Marihuana, die Tochter geriet in schlechte Gesellschaft. Vermutlich war das Stück von einem Computer verfaßt. jedenfalls sah sein Urheber in der verfahrenen Familiensituation den Grund dafür, daß die Arbeiter, angesteckt vom schlechten Beispiel des Firmenchefs, zunehmend aufsässiger wurden, höhere Löhne forderten und, noch schlimmer, gar in den Streik traten. Philosoph und Theoretiker dieser »Aufrüstung« ist Dr. Frank Buchman. Wenn man seinen Anhängern glauben darf, genügt es, einige Seiten seiner Schriften zu lesen, um ein guter Mensch zu werden. Dem Firmenchef wird das Buch von einem Freund in die Hand gedrückt. Wie durch eine Erleuchtung wird ihm klar, daß er nur nach seiner moralischen Läuterung die Sc ' hwierigkeiten mit seinen Arbeitern meistern wird. Er fährt in seine Zweitwohnung und gibt der Freundin den Laufpaß. Dann, im trauten Heim, verkündet er Frau und Kindern die edlen Grundsätze, die ihn von nun an leiten werden. Noch bevor sie das Buch gelesen haben, bessert sich der Gesundheitszustand der Frau, läßt der Sohn von den Drogen ab, entschließt sich die Tochter, einen ihrer Liebhaber zu heiraten. Angesichts dieser spektakulären Wandlungen schicken die Arbeiter eine Abordnung zum Boß, um ihm mitzuteilen, daß sie von ihren Forderungen, einschließlich der nach Lohnerhöhung, absehen, da sie Verständnis für seine zahllosen Probleme haben.
So erzählt, scheint die Geschichte wenig glaubhaft. Doch ich habe sie selbst im Stadttheater von Säo Paulo gesehen, in einer Gratisvorstellung. Derlei darf sich das Volk in Brasilien anschauen, ohne Eintritt bezahlen zu müssen. Nach der Aufführung kamen »Zeugen« auf die Bühne, allesamt Leser des berühmten Buches, die von ihren Erfahrungen »davor und danach« berichteten. Eine holländische Millionärin, früher überzeugte Rassistin, bekundete ihre Liebe zu Menschen aller Hautfarben. Ein ehemals gefürchteter Stadtguerilla verspürte nach der Lektüre plötzlich Sympathie für die brasilianischen Behörden. Der Zeugenauf-
26
marsch gipfelte in einem großen Finale, in dessen Verlauf auch ein 1
alter Indianer auftrat, der trotz seiner neunzig Jahre im besten
1 ch se'
Hollywoodstil steppte und sang. Vom Conf@rencier na
inen Erfahrungen mit dem Buch befragt, antwortete er ganz ernsthaft, er sei früher Kannibale gewesen, seit er aber Frank Buchmans Werk gelesen habe, möge er nicht einmal mehr Hamburger.
Weit gefährlicher als diese läppischen Spektakel, die kaum einen der Zuschauer täuschen können, sind Aufführungen, die reaktionäre Gedanken gefällig verpackt anbieten, an Äußerlichkeiten Kritik üben und sich so einen »progressiven- Anstrich geben, während die wirklichen Probleme stumm gehalten werden.
Vor einigen Jahren fand unter der Schirmherrschaft des State Departement die Lateinamerika-Tournee einer mexikanischen Truppe mit dem Stück Das Teebaus im Augustmond von john Patrick statt. Im Mittelpunkt des Stücks steht Sakini, ein verschlagener Einwohner von Okinawa, der dem amerikanischen Kommandeur der Insel alle möglichen Streiche spielt. Der Militär erscheint während des ganzen Stücks als komische Figur, allerdings nur durch sein falsches Reagieren auf unerwartete Situat"nen, er paßt sich aber mehr und mehr den Bräuchen der Einheimischen an. An keiner Stelle wurde das entscheidende Problem berührt - die Tatsache, daß Okinawa von ausländischen Truppen besetzt und der sympathisch-skurrile Oberst ein Vertreter der Besatzungsmacht war. Es sollte suggeriert werden, daß man mit Invasoren durchaus friedlich zusammenleben könne. Merke: Wenn wir ihnen erlauben, unsere Länder zu besetzen, erlauben sie uns, sie am Bart zu zupfen. Was hier auf den ersten Blick als Liberalismus erscheint, ist in Wirklichkeit kaschierte Propaganda.
Eine heile Welt gaukelt auch 0 demönio familiär (Der Hausgeist) des brasilianischen Autors jos@ de Alencar vor. Die Hauptfigur ist ein drolliger, listiger, seinem Herrn treu ergebener Sklave, der von diesem liebevoll und gerecht »behandelt« wird - Züchtigungen dienen einzig dazu, ihn zu »bessern«. Er soll ein besserer Sklave werden - und so unterläßt es das Stück, die Sklaverei beim Namen zu nennen.
Wahre Meister dieses politischen Theaters sind die Amerikaner. Ein Beispiel ist das Stück Born Yesterday, in dem ein einziger bestechlicher Senator vorkommt (alle anderen haben selbstverständlich eine weiße Weste), oder The best man, das die Machenschaften um die Präsidentschaftswahl enthüllt - gewählt wird
27
|