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Abschied von der Schreibmaschine
Das Geklapper eines Büros oder einer Amtsstube ist noch in Erinnerung, und wenn man das selten gewordene Vergnügen hat, wieder einmal eine richtige Schreibmaschine zu hören, kann einen eine seltsame Mischung aus Wehmut, Befremden und Nostalgie beschleichen. Wer sich vielleicht auch noch darauf eingelassen hat, die Prüfungsarbeit zum Abschluß seines Studiums auf einer Schreibmaschine zu verfassen, weiß, aus welchem Holz man sein Werk herausgearbeitet hat und wie handwerklich die Abfassung stellenweise war.
Die Norm ist heutzutage der Computer, und der Wandel vom einen zum anderen Schreibgerät wurde nicht ohne Geburtswehen vollzogen. So war in einem Artikel, den im letzten Sommer Jürgen Dahl für die ZEIT schrieb, davon zu lesen, welcher Kulturverlust mit der Einführung des Computers verbunden ist, und an anderer Stelle hörte man gar aus dem Anschlag einer richtigen Schreibmaschine den Es-Dur-Akkord der Lebensfreude. Dahl jedenfalls zeigt schlüssig, daß ein mit der Maschine geschriebener Text besser ist, weil er auf diese Weise möglicherweise besser überlegt und durch mehrmaliges Abschreiben gleichsam wie ein Teig gründlich durchgeknetet ist, und tatsächlich gaben auch mir die gelegentlichen Tippex-Pausen beim Schreiben meiner Abschlußarbeit willkommene Gelegenheit, zu überlegen, was eigentlich im Satz stehen soll.
Der Computer hingegen verleitet zum Heruntertippen von Textbausteinen, die man am Bildschirm beliebig ändern, zerstückeln, vermischen und kombinieren kann, und das Resultat zeigt zuweilen noch deutlich die Nahtstellen, wo sich der eingeschobene Textbaustein nicht recht heimisch fühlt. Die Möglichkeit, einen Text im Nachhinein hier und dort zu verändern, kann praktisch sein, erzeugt jedoch fast immer nur Flickwerk. Das Geschriebene muß ein Fluß der Gedanken sein, und da wird man mit Umstellungen und Eingriffen eher Schaden anrichten als das Werk verbessern. Das Verschwinden des letzten Rests an Handwerklichkeit beim Schreiben trägt zum Entfremden des Autors von seinem Werk bei.
Ein besonderer Vorteil der Schreibmaschine ist vor allem ihre Unabhängigkeit und Robustheit. Solange das Farbband hält, funktioniert sie immer und überall, sie braucht keinen Strom, und das Geschriebene ist ein gegenständliches Erzeugnis, das nicht „abstürzen“ oder „gelöscht werden“ kann. Dies sind Aspekte, die das Arbeiten mit der Schreibmaschine in den Augen Ihrer Befürworter zu einer Kulturtechnik erheben, die alles andere als anachronistisch ist und zu guten Ergebnissen führt. Was bisher noch keine Erwähnung fand, ist die gute Schule, die die Schreibmaschine ihrem Besitzer beschert. Wer den Computer benutzt, vorher jedoch Erfahrungen mit der Schreibmaschine gesammelt hat und sie vielleicht weiterhin nebenher benutzt, wird auf bessere Resultate hoffen dürfen, da sich notwendigerweise bei der alten Technik der Text zunächst im Geist des Autors wie in einem Reservoir ansammelt und erst dann gegenständlich wird.
Das Schreiben auf einer modernen Computertastatur entledigt den Verfasser dieser Gedankenschleuse: Alles kann sich ungeprüft in all seiner Dumm- und Fehlerhaftigkeit in eine Datei ergießen, die dann möglicherweise in dieser rohen Form abgegeben wird. Wer mit dieser Technik aufwächst, wird hart arbeiten müssen.
Der Verkauf eines Gegenstandes zielt schon lange darauf ab, daß der Käufer möglichst bald noch etwas anderes kaufen muß und kaum Reparaturmöglichkeiten hat. Die Tastatur eines Computers wird eher ausgetauscht denn repariert, ein technisches Gerät benötigt heutzutage Strom, und ein brandneues Textverarbeitungsprogramm ist nach zwei Jahren schon völlig veraltet. Diese Nebenkosten machen den eigentlichen Gewinn am Produkt aus. Dabei wird vergessen, daß man auch heute noch Firmen finden kann, die einem für wenig Geld ein ß-Zeichen in die Schreibmaschine hineinlöten. Besonders diejenigen, die sich für ihren Computer alle paar Jahre ein neues Anwenderprogramm, ein „Setup“ oder den neuesten „Virenscanner“ zulegen müssen, sind plötzlich etwas bedrückt, wenn sie hören, daß mit einer Schreibmaschine ein Text heute so gut und zuverlässig geschrieben werden kann wie in zwanzig Jahren, und das ganz ohne Strom.
Es gibt jedoch einige Vorteile des Computers, die die Schreibmaschine nun einmal nicht bietet, und dazu gehört vor allem die wirklich leichte Verarbeitung, Vervielfältigung und der Transport von Schrift. Die Möglichkeiten des Computers liegen in seiner Vernetzungsmöglichkeit, im blitzschnellen Zugriff auf irgendwelche Dinge, die man aus gewaltigen Datenmengen heraussuchen möchte, in der gleichsam fabrikmäßigen Verarbeitung eines Briefes und einer Anschriftenkartei zu einem großen Stapel fertig adressierter Serienbriefe und dergleichen mehr. Gerade bei Verzeichnissen, Karteien und Katalogen hat der Computer große Vorteile und Erleichterungen gebracht. Während man beispielsweise für ein Buch in jeder Bibliothek, in der es vorhanden war, ehedem einige Katalogkarten mit der Schreibmaschine geschrieben hat, so wird dieser Text heute nur noch einmal eingegeben und ist dann gleichzeitig in vierundzwanzig österreichischen Bibliotheken verfügbar. Und der Benutzer muß nicht mehr mit komplizierten Katalogisierungsregeln kämpfen, sondern hat zum Beispiel die Möglichkeit, einen bestimmten Autor in Verknüpfung mit einem bestimmten Erscheinungsort zu suchen.
Die Nostalgiker, die den Computer an der Schreibmaschine messen, reduzieren den Vergleich auf die Funktion des reinen Schreibens für literarische Zwecke, und da schneidet die Maschine sicher besser ab. Wer lange am Computer arbeitet, wird vielleicht zwischen dem blassen Geflimmer des Bildschirmes und dem monotonen Kunststoffklang der Tastatur, wo es kein „Sssst—“ und kein „Ping!“ gibt, an den rustikalen Klangkörper einer Olympia oder Adler zurückdenken, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann man für seinen Computer die Software bekommt, die ihn zu dieser Musik befähigen wird. „Typesound 2.0“ wird soetwas vielleicht heißen. Und es wird all diejenigen lächerlich machen, die im ersten Eifer die Schreibmaschinen auf den Müll geworfen und sich der neuen Technik unterworfen haben.
Dabei wird zweierlei vergessen. Als vor gut hundert Jahren die Schreibmaschine ihren Siegeszug begann, wurde sie genauso angefeindet, wie später der Computer. Von Entfremdung des Autors von seinem Werk war die Rede, wenn man die Buchstaben nur noch eintippen würde, statt sie weiterhin mit der Stahlfeder zu schreiben. Als dann um 1920 die ersten Füllhalter aufkamen, hatte man sich an die Schreibmaschine einigermaßen gewöhnt, lehnte nun aber das neue Schreibgerät ab, weil es keine Haar- und Schattenstriche ermöglichte, wie die Stahlfeder. Schreibmaschine und Füllhalter brachten damals große Erleichterungen und bessere Möglichkeiten, zum Beispiel die Unabhängigkeit vom Tintenfaß. Abgelehnt wurde übrigens auch der Kugelschreiber, der in den Anfangszeiten allerdings auch ein fürchterliches Schriftbild erzeugte. Bis heute ist er noch heftigen Angriffen ausgesetzt, weil er der Ausbildung einer sauberen und lockeren Handschrift entgegenwirkt.
Das Zweite, was man bei aller Trauer leicht übersieht, ist die prinzipielle Konsequenz in der Entwicklung von der Handschrift über die Schreibmaschine zum Computer. Einen Buchstaben durch Knopfdruck zu erzeugen, also nicht mehr selbst zu schreiben, sondern von einer Maschine schreiben zu lassen, ist bereits mit der Schreibmaschine eingeführt worden, nicht erst mit dem Computer. Einen Text in mechanisch handhabbare Elemente zu zerkleinern, die vom Autor sinnvoll aneinandergereiht werden können, ebenfalls. Daher ist der Computer als logische Weiterführung des Weges zu sehen, der mit der Schreibmaschine beschritten wurde, und wer den Computer ablehnt, muß daher auch die Schreibmaschine ablehnen. Die Feuilletonisten, die heute das Wehklagen über das Ende einer Kulturtechnik anstimmen, nur weil sie ihre Texte auf Diskette einreichen müssen, hätten vor hundert Jahren ähnliches über das Ende der Stahlfeder geschrieben. Sie vergessen, daß sie ihre Texte über die Telephonleitung in die Redaktion einspielen können, daß sie sie leicht transportieren, billig verschicken und platzsparend archivieren können und daß jeder Transfer geschieht, ohne daß sich auch nur ein einziger Fehler in den Text einschleicht.
Die Verfechter der Schreibmaschine beklagen, ihre Texte nicht als Typoskript abgeben zu können. Doch mittlerweile hat der Computer lesen gelernt und man kann ihm auch ein Typoskript geben, das er sorgfältig liest. Und er hat sogar hören gelernt. Und aus allem, was man ihm an Texten gibt, macht er gefällige Textbilder, die allesamt typographisch nicht in Ordnung sind, aber so aussehen wollen, als seien sie handgesetzt. Und das in Textschriften, die es zwar in ungeheurer Menge gibt, von denen aber immer wieder dieselben vier oder fünf auftauchen, am liebsten „Times New Roman“, von der nicht einmal ein halbes Prozent der Benutzer wissen dürfte, seit wann es sie gibt und zu welcher Gruppe von Schriften sie gehört.
Daran wird das eigentliche Problem des Computers deutlich: die Nachmacherei und die Gleichmacherei. Nachmacherei, weil der Computer den handgesetzten und im Buchdruck vervielfältigten Text nachahmt, ohne seine Wesensmerkmale zu haben. Ein gesetzter Text ist im Idealfall nach dem geschulten Augenmaß eines erfahrenen Typographen ausgeglichen und daher nicht nur im Gesamtbild schön, sondern auch als Text angenehm und flüssig zu lesen. Der Ausgleich der Zwischenräume zwischen Buchstaben und Wörtern erfolgt beim Computer nach einigen mehr oder weniger schlauen Standardregeln, wobei der optische Gesamteindruck ebenso unberücksichtigt bleibt wie die Tatsache, daß etwas, das ein Mensch lesen soll, auch von einem Menschen gesetzt sein sollte. Grobe Fehler bei kleineren Schriftgraden seien nur am Rande erwähnt. Die Gleichmacherei liegt in der bereits erwähnten Tatsache, daß heute kaum Unterschiede zwischen verschiedenen Texterzeugnissen zu erkennen sind. Alle verwenden üblicherweise dieselbe Schrift in denselben Größen mit demselben Zeilenabstand, und die Drucker geben die gleichartigen Texte in optischer Gleichförmigkeit wieder.
Die Schreibmaschine bietet überhaupt keine Typographie, sondern normalerweise sechzig gleich breite Felder pro Zeile, und das macht sie in dieser Hinsicht sympathisch. Sie gibt eine Typographie nämlich im Gegensatz zum Computer gar nicht erst vor. Und abgesehen von der wirklich gleichförmigen und standardisierten „Pica“-Schreibmaschinenschrift gab es in der Anfangszeit dieser Geräte auch noch einige andere Schriften, später gab es sogar Frakturschriften auf Schreibmaschine, und gegen Ende der Entwicklung tauchten sehr»technische«, kantige Schriften neben sehr ansprechenden Typenrad- und Kugelkopfschriften auf. Zumeist schreibt man „Pica“, wenn man sich einer Schreibmaschine bedient, und darin liegt wie beim Computer eine deutliche Gleichförmigkeit.
Gegentrends werden spürbar, wenn etwa restaurierte und funktionstüchtige Schreibmaschinen im gehobenen Versandhandel auftauchen und die etwas snobistische Erklärung: „Computer? — Damit habe ich überhaupt nichts zu tun!“ bei einigen Geschichts- oder Philosophiestudenten seit kurzer Zeit besonders schick ist. Manche Schriftsteller haben sich dazu bekannt, einige Schreibmaschinen in Ölpapier verpackt und im Keller eingelagert zu haben. Der Irrwitz dieser Ansätze zeigt, daß die Schreibmaschinenkultur sich mitten in der Agonie befindet. Mit der Restaurierung von Schreibmaschinen Arbeitsplätze zu sichern, ist sinnvoll und gut, doch wird man damit nicht die „Kulturtechnik“ des Maschinenschreibens über den Wirbelwind der Computertechnologien hinwegretten können, wenn nicht der Wert der Schreibmaschine allmählich auch wieder im kleinen Büro, im Privathaushalt und auf der Amtsstube erkannt wird und vor allem die Hersteller endlich wieder vernünftige, stabile Geräte anbieten. Und selbstverständlich wird der blasierte Philosoph, der mit seiner Rückwärtsgewandtheit kokettiert, bei der ersten Literatursuche sehr wohl am Computer sitzen, wenn er zu ernsthaften Ergebnissen gelangen will.
Wer Kulturtechniken zu nutzen und anzuwenden gedenkt, wird allen Errungenschaften ihren sinnvollen Platz zuweisen. Man braucht sich nicht von seiner Schreibmaschine zu trennen, wenn man sich einen Computer besorgt, wie man sich auch nicht bei Anschaffung einer Schreibmaschine von seinem Füllhalter, bei Anschaffung eines Füllhalters von seiner Stahlfeder, bei Anschaffung einer Stahlfeder von seinem Gänsekiel, bei Anschaffung eines Gänsekiels von seiner Rohrfeder, bei Anschaffung einer Rohrfeder von Diptychon und Stylus und bei Anschaffung letzterer von Hammer und Meißel zu trennen brauchte.