Kanarienvogel

ich hab einen, der ist mir mitten im winter zugeflogen. er ist orange und erkältet. nachts röchelt er so laut, daß ich nicht schlafen kann. wenn ich dann am nächsten morgen nach ihm sehe lebt er immer noch. das mache ich jetzt schon seit drei wochen. ausserdem ist mit letzte woche noch ein waschlappen vom haken gefallen.
der war nicht orange, hat aber auch nicht geröchelt, was eigentlich egal wäre, da ich nicht im badezimmer übernachte.

In einem Forum für alte Volkswagen haben Manche
soviel Ahnung, dass ich denke, die haben Anzug–
drehmomente und Getriebe-Kennbuchstaben auf
beide Unterarme tatöwiert. Ich allerdings hab drei
alte VWs und keine Ahnung. In dem Forum bin ich
deshalb fürs Feuilleton zuständig. Komm mir dort
vor,

wie ein Kanarienvogel im Bergwerk.

Heute abend saß ein knallgelber Vogel unter einem knallroten Auto und pickte zwischen den Pflastersteinen herum. Gibt es in unseren Breiten knallgelbe Vögel? Ich weiß es nicht und dachte mir, es könnte ein entflogener Kanarienvogel sein. Dafür sprach auch, dass er so einen schwächlichen und trägen Eindruck machte, weil er mit diesem Lebensraum möglicherweise nicht zurecht kam. Er bewegte sich 20 Minuten auf einem halben Quadratmeter unter dem Auto und etwas daneben hin und her. Kein Mensch war in der Nähe und sonst kein Tier. Die Vorstellung, den Vogel aufnehmen und aufpäppeln zu müssen, gefiel mir nicht, war mir doch schon einmal ein Wellensittich in Pflege, den ich an einer Straßenecke als wehrlosen und entkräfteten Federknäuel aufgegabelt hatte, trotz erster Erfolge über einige Tage, fachmännischer Beratung eines Tierhändlers und seiner Lebendigkeit, die ihn mir als glücklich und über den Berg erscheinen ließ, plötzlich und über Nacht weggestorben. Ich hoffte also, entweder es sei kein Kanarienvogel oder wenn, wenigstens ein kerngesunder und allen Widrigkeiten der gemäßigten Zonen gewachsener. Wie groß war doch meine Freude, als er plötzlich aufflog und etwas tapsig flatternd auf dem rechten Außenspiegel seines schützenden Autos landete. Dort schaute er eine halbe Minute hin und her, während ich seine nächsten Schritte mit größter Anspannung erwartete. Er flog einen halben Meter weiter auf einen Zaun und ruckelte dort hin und her wie ein Seiltänzer, der das Gleichgewicht sucht. Für einen Vogel war das ganze nicht richtig überzeugend, so dass ich ihn weiterhin argwöhnisch beobachtete. Dann aber, als wollte er alle Zweifel an seinen vogelmäßigen Grundfähigkeiten ein für alle Mal hinwegfegen, sprang er von dem Zaun kraftvoll ab, ließ sich mit angelegten Flügeln kurz fallen und flog mit gewaltigem Schwung wieder in die Höhe, bevor er den Boden erreichte, beschleunigte, schoss in Perfektion flatternd die Straße entlang und verschwand hinter einer Garage in einem Garten. Ich rieb mir begeistert die Hände und war äußerst erleichtert.