hinab
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Fräulein Rottenmeier: Guten Morgen, Adelheid, warum bist du denn heute schon so früh auf?
Heidi: Guten Morgen, Fräulein Rottenmeier. Der Geißenpeter und ich wollen heute mit der Clara ins Tal herabsteigen!
Fräulein Rottenmeier (kreischt entsetzt): Clara? Ins Tal? Das kommt überhaupt nicht in Frage! Das kann ich unmöglich erlauben! Der Weg ist viel zu gefährlich! Wie soll Clara in ihrem Rollstuhl...
Heidi: Der Peter wird die Clara tragen! Und er kennt einen sicheren Weg über die Wiesen, der ins Tal herabführt!
Fräulein Rottenmeier (streng): Es heißt ins Tal hinab, Adelheid!
Heidi: Herab, hinab, ist das nicht dasselbe?
Fräulein Rottenmeier: Nein, es ist nicht dasselbe. Es kommt auf die Richtung und die Perspektive an. Wenn du von hier oben nach dort unten gehst, dann gehst du - von dir aus gesehen - hinab. Wer dich unten im Tal kommen sieht, der sieht dich herabsteigen. Für dich ist es hin, für ihn ist es her.
Heidi: Gut, Fräulein Rottenmeier, ich will es mir merken!
Es klopft
Heidi (erfreut): Oh, das wird der Geißenpeter sein!
Sie springt auf, läuft zur Tür und öffnet.
Heidi: Grüezi, Peter! Komm nur hinein!
Geißenpeter: (schüchtern): Hat denn dein Besuch nichts dagegen?
Fräulein Rottenmeier: Nein, hat er nicht, Geißenpeter. Er hat nur etwas dagegen, dass unsere Adelheid die Adverbien durcheinander wirft. Adelheid, du musst zum Peter sagen: Komm herein!
Heidi: Aber haben Sie nicht eben gesagt, für mich sei es hin, und für ihn her?
Fräulein Rottenmeier: Wenn du den Peter aufforderst, in unsere Stube zu treten, dann bittest du ihn herein, nicht hinein.
Geißenpeter: Also, darf ich dann jetzt herein?
Fräulein Rottenmeier: Ja, begreift ihr denn gar nichts? Du musst fragen: Darf ich hinein, denn für dich ist es hin, wenn du zu uns herkommst! Verstanden?
Geißenpeter: (kratzt sich am Kopf): Also, ich glaub, das ist zu hoch für mich. (Er wendet sich wieder Heidi zu): Wo ist Clara? Will sie nicht mit uns kommen?
Fräulein Rottenmeier (bestimmt): Clara wird nirgendwohin mitkommen. Sie ist viel zu schwach. Eine derartige Anstrengung würde ihr nur schaden.
Geißenpeter: Dann gehen wir halt allein! Wir können ihr ja etwas aus dem Dorf mitbringen!
Heidi (zu Fräulein Rottenmeier): Sollen wir für Sie und für Clara etwas aus dem Dorf mit hinaufbringen?
Das gestrenge Fräulein Rottenmeier
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Das gestrenge Fräulein Rottenmeier
Fräulein Rottenmeier: Du meinst, ob du uns etwas mit heraufbringen kannst, Adelheid! (Zu sich selbst gesprochen): Ich habe ja sofort erkannt, dass dieses Kind kein Umgang für unsere Clara ist. Es hat den Verstand einer Berggeiß!
Heidi: Wieso heißt es nun auf einmal wieder herauf? Ich dachte, aus meiner Sicht...
Fräulein Rottenmeier: Du sollst nicht denken, sondern zuhören! Wenn du für Clara und mich etwas mitbringst, dann bringst du es zu uns herauf, nicht hinauf.
In diesem Moment betritt der Großvater die Stube.
Alm-Öhi: Guten Morgen! Was macht denn der Peter so früh schon hier?
Heidi: Guten Morgen, Großvater! Peter und ich wollten heute mit der Clara ins Tal, aber Fräulein Rottenmeier ist dagegen. Sie sagt, es wäre zu anstrengend für Clara. Obwohl der Peter sie doch tragen will.
Alm-Öhi: Was denn, der Peter will Fräulein Rottenmeier tragen?
Heidi (lacht): Nein, nicht Fräulein Rottenmeier, sondern Clara!
Alm-Öhi: Herab mag's vielleicht noch gehen, aber habt ihr euch auch überlegt, wie ihr wieder hinaufkommen wollt? Bergan trägt es sich viel schwerer!
Fräulein Rottenmeier (schrill): Hinab, wenn ich bitten dürfte! Und herauf! Also von Ihnen hat Adelheid das! Nun, das hätte ich mir ja gleich denken können!
Alm-Öhi: Bitte entschuldigen Sie, Fräulein Rottenmeier, ich kann Ihnen nicht ganz folgen ...
Fräulein Rottenmeier: Also schön, dann erklär ich's noch einmal: Von hier oben aus gesehen geht man ins Tal hinab und kommt vom Tal wieder herauf. Vom Tal aus gesehen kommt man von der Alm herab und geht wieder hinauf. Anderes Beispiel. Stellen Sie sich einen Dachspeicher mit einer Leiter vor. Sie stehen oben, Adelheid steht unten. Adelheid klettert die Leiter zu Ihnen ... nun?
Alm-Öhi: Hmm ... zu mir herauf?
Fräulein Rottenmeier: Nein! Das heißt, ja. Wenn Sie in der ersten Person sprechen, dann heißt es tatsächlich: Adelheid klettert zu mir herauf, aber in der dritten Person klettert sie zu Ihnen hinauf.
Alm-Öhi: Welche dritte Person meinen Sie, Fräulein Rottenmeier? Klettert noch jemand die Leiter hoch?
Fräulein Rottenmeier (entnervt): Ich geb's auf. So wird das nie etwas!
In diesem Moment tritt Clara durch die Tür. Alle starren sie wie vom Donner gerührt an.
Heidi: Clara! Du kannst ja auf einmal wieder gehen! Wie ist das nur möglich?
Alm-Öhi: Ein Wunder ist geschehen!
Geißenpeter: Prima! Dann können wir ja doch noch alle ins Tal her... äh... hin... also, nach unten ins Tal gehen!
Fräulein Rottenmeier: Das verstehe ich nicht! Clara sollte doch erst in Folge 51 wieder laufen können. Warum hält sich denn hier niemand ans Drehbuch? Und warum bin ich immer die Einzige, die fehlerfreies Deutsch spricht?
In diesem Moment löst sich ein Balken aus der Studiodekoration.
Heidi: Vorsicht, Fräulein Rottenmeier, da fällt gleich ein Balken von oben hinab!
Fräulein Rottenmeier: Adelheid! Hast du es denn immer noch nicht begriffen? Nur wenn etwas von dir aus gesehen nach unten fällt, dann fällt es hinab. Wenn aber etwas von oben auf dich fällt, dann fällt es ...
Der Balken fällt herunter, trifft Fräulein Rottenmeier und wirft sie zu Boden.
Fräulein Rottenmeier (stöhnend): ... auf mich herab!
An dieser Stelle bricht die Aufzeichnung ab. Aufgrund des chaotischen Drehverlaufs und vielleicht auch wegen der allzu nervenden Besserwisserei Fräulein Rottenmeiers wanderte die Folge unvollendet und ungezeigt ins Archiv. Die Zuschauer sahen stattdessen eine Folge, in der Heidi, Clara und Peter einen glücklichen Tag auf der Almwiese verbringen. Dabei geht es um Freundschaft und Mut, um Vertrauen und die Überwindung von Angst, aber um Adverbien geht es nicht.
Und dies entspricht auch der Wirklichkeit, denn die Unterscheidung zwischen hin- und her- wird selten so genau genommen wie in der oben zitierten Zeichentrickepisode. Im wahren Leben spielt der Unterschied oft keine Rolle mehr.
Dabei hat Claras Gouvernante (so unangenehm sie uns auch erscheinen mag) prinzipiell Recht. »Her« kennzeichnet die Richtung auf den Sprecher zu, »hin« markiert die Richtung vom Sprecher weg. So erklärt es auch der Duden. In vielen Zusammenhängen ist die Position des Sprechers aber gar nicht deutlich. Nehmen wir einen Satz wie diesen: »Der Apfel fällt herunter/hinunter.« Wo befindet sich da der Sprecher? Oben im Baum oder unten im Gras? Oder steckt er womöglich im Apfel selbst?
Mitunter geben Präpositionen (sogenannte Verhältniswörter) Hinweise auf die Richtung: in, ins, nach, auf stehen meistens mit »hin«, aus, von, vom und zu mit »her«: ins Haus hinein, aus dem Haus heraus, ins Tal hinab, vom Dach herab. Im Falle des fallenden Apfels kann man sich ein »vom Baum« dazudenken, dann muss es »herunter« heißen. Denkt man sich aber ein »ins Gras« dazu, wäre »hinunter« treffender.
Dies gilt allerdings nicht für Verben, die im übertragenen Sinn gebraucht werden. Sie werden durchgehend mit »her« gebildet: über jemanden herfallen, auf jemanden hereinfallen, für etwas herhalten, etwas herunterspielen.
In der norddeutschen Umgangssprache entfällt die Unterscheidung zwischen hin- und her- komplett, da gibt es nur noch »her-«, und das auch nur in verkürzter Form: »Komm doch mal rüber« (= herüber), »Lass uns reingehen!« (= hineingehen), »Bleib wo du bist, Liebling, ich komme runter!« (= herunter), »Da geht's in den Keller runter!« (= hinunter).
In Süddeutschland hingegen wird die Unterscheidung zwischen hin- und her- selbst in der verkürzten Form der Umgangssprache noch vorgenommen: Die Nachbarsleute kommen rüber (= herüber), aber man geht zu ihnen 'nüber (= hinüber), der Wanderer kommt zu uns rauf (= herauf), der Wanderer steigt den Berg 'nauf (= hinauf).
Jawohl, ihr lieben Preiß'n, da staunt ihr, ausgerechnet die Bayern zeigen euch hier, wo's sprachlich lang geht. Genauer gesagt: Wo's 'nauf geht und wo's runter geht mit den Adverbien. Die Bayern und die Österreicher kennen übrigens auch noch die Wörter »herunten«, »heroben«, »herinnen« und »heraußen«, die allerdings nichts mit den hier beschriebenen richtungweisenden Adverbien zu tun haben. Das »her« steht in diesen Fällen für »hier«, »herunten« ist also eine verkürzte Form für »hier unten«.
Wer nun immer noch nicht weiß, ob Rapunzel ihr Haar hinunter- oder heruntergelassen hat, der braucht sich nicht zu grämen. Es gibt Schlimmeres! Und wer sich nicht den Kopf darüber zerbrechen will, ob er den Hammer hinaufreichen soll, wenn er gebeten wird, ihn heraufzureichen, der reiche ihn einfach nach oben.