bestraft
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Erst als mich mein Stiefvater das erste mal bestraft hat, habe ich ihn wirklich als meinen Vater akzeptiert.
Mein echter Vater ist im Krieg geblieben, ich habe ihn nie kennengelernt. Als meine Mutter dann wieder geheiratet hat, war ich neun Jahre alt.
Ich kam mit ihm von Anfang an gut aus. Das Klischee vom bösen Stiefvater oder von der zickigen Stieftochter trifft bei uns überhaupt nicht zu. Er hat sich viel um mich gekümmert, mir bei meinen Schulaufgaben geholfen und einiges mit mir unternommen. Und ich mochte ihn, saß gerne auf seinem Schoß und kuschelte mit ihm.
Aber ich sah ihn damals eher als netten Onkel oder älteren Freund, nicht als jemanden, der mir wirklich etwas zu sagen hatte.
In der Sexta (fünfte Klasse) habe ich dann aber seine Unterschrift unter eine Entschuldigung gefälscht, einfach deswegen, weil sie leichter nachzumachen war als die von Mama. Zumindest dachte ich das. Aber die Lehrerin hat es gemerkt und ihn angerufen.
Er kam dann am Abend in mein Zimmer und war ganz anders als sonst. Er hat mich ausgeschimpft, nicht laut, aber sehr, sehr eindringlich. Ich war da schon ziemlich kleinlaut. Und dann hat er mir kräftig den Hintern versohlt.
Ich habe natürlich geweint, aber ich weiß noch, daß ich es ihm keine Sekunde übel nahm. Durch die Standpauke davor war ich schon zu der Einsicht gekommen, daß ich es verdient hatte und daß er absolut im Recht war.
Kurz danach habe ich angefangen, ihn Papa zu nennen.
Wir hatten davor schon eine enge, liebevolle Beziehung und auch danach, solange er lebte. Aber erst seit diesem Tag, als er mich das erste mal übers Knie gelegt hat, sah ich ihn als meinen Vater an.
Verrückt, nicht?