Urteil
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Es gab keinen Zweifel, wie der Prozess ausgehen würde. Für Widerstandskämpfer gab es keine Gnade.
Wärter hatten ihm geraten, sich während der kurzen und seltenen Besuchszeit von den Eltern eine Turn- oder Badehose mitbringen zu lassen. So saß er jetzt im Gefängniswagen, anstelle der Unterhose trug er unter der Prozesskleidung einen schwarzen Badeslip. Im Falle eines Todesurteils würde er nicht mehr ins Gefängnis zurückgebracht, sondern direkt zur Hinrichtungsstätte gefahren. Die Badehose würde ihm wenigstens ersparen, den letzten Gang in Unterhose anzutreten.
Die Hinrichtungen fanden öffentlich statt – in einer Diktatur ein beliebtes Spektakel. Die Verurteilten wurden bis auf Slip oder Shorts entkleidet und gehängt. Widerstandskämpfern war ein soldatischer Tod durch Erschießen versagt. Die Entkleidung sollte die Verurteilten zusätzlich entwürdigen. Die Zuschauer sahen die spastischen Zuckungen der nackten Körper, wie der Speichel aus dem Mund lief, während Urin auf den Boden plätscherte und sich die Hose mit dem Inhalt des Darms füllte. Besonders die Exekutionen weiblicher Delinquenten, meist jüngerer Widerstandskämpferinnen, waren beliebt, weniger wegen des Todesvorgangs, sondern wegen der getragenen Bikinis, Badeanzüge oder knappen Shorts.
Jetzt wurde er in den Gerichtssaal geführt. Der Staatsanwalt höhnte im Vorbeigehen: „Ihre Hinrichtung wurde bereits angekündigt. Um 14:00 Uhr wird bereits das Höschen voll!“
Er kam sich komisch vor, mit der Badehose als Unterhose in einem Gerichtssaal zu stehen. Die an der Seite aus dem Hosenbund herausschauenden weißen Streifen erinnerten an das Schulschwimmen, bei dem die pubertierenden Klassenkameraden mit der Badehose unter der Hose kamen, um sich nicht nackt ausziehen zu müssen.
Der Prozess ließe wenig Zweifel an dem zu erwartenden Urteil. Er blieb standhaft, gab nichts zu, legte die Sicht der Freiheitskämpfer dar. Dann musste er aufstehen.
„Der Angeklagte ist wegen Hochverrats und Sabotage ehrlos geworden. Er soll bis auf den Schambereich entkleidet am Strang aus dem Leben befördert und im beschmutzten Höschen an einem nicht bekannt zu gebenden Ort begraben werden. Abführen !“
In der Zelle im Gerichtsgebäude musste er sich bis auf das ebenfalls schwarze T-Shirt, Slip und Schuhe ausziehen. Er erhielt eine rote Armeesporthose zum Überziehen für die Fahrt zur Richtstätte. So saß er jetzt in der Zelle und wartete auf den Priester. Er versuchte, Blase und Darm weitgehend auf der Toilette zu entleeren, um nicht vor den Zuschauern in den Slip zu machen.
Dann kam das Ende. Der Gefängniswagen hielt am Fuße des Galgens. Wie immer waren viele Zuschauer gekommen. Nach dem Aussteigen zogen Wärter die Shorts herunter und führten ihn die Treppe zur Galgenplattform hinauf. Nachdem er sich die Hose noch einmal fest zugebunden hatte – es hatte schon Fälle gegeben, in denen die Hose im Todeskampf aufgrund der Kotfüllung heruntergerutscht war- wurde ihm das T-Shirt über den Kopf gezogen, die Hände wurden auf dem Rücken gefesselt.
Seine letzten Worte sprach er im Slip mit weißen Socken und Turnschuhen, ein eigenartiger Anblick.
Schuhe und Socken wurden abgestreift, die Augenbinde angelegt. Man drängte ihn über die Falltür, legte die Schlinge um seinen Hals. Dumpf klackend öffnete sich die Klappe, der Strang ruckte an und spannte sich. Sein Körper baumelte und zuckte. Dann füllte sich der Slip doch. Urin floss die Beine herunter. Der Unrechtsstaat hatte gewonnen. Vorerst.