Stricheinheit
Bewertung: 2 Punkt(e)
Es ist unfair, sich über Gedichte und deren Schreiber lustig zu machen - gerade Amateurlyriker werfen sich oftmals in aller Offenheit des Herzens in ihre Verse, es scheint für viele von ihnen sogar das Gedicht Synonym für Herzensergießungen aller Art zu sein, gewissermaßen der Löffel der Empfindung, wo sich das zerfließende Dasein nicht auf die Gabel des Intellekts spießen und mit dem Messer der Analyse zerteilen läßt. Nackt und bloß wird sich da präsentiert, allenfalls ein paar Girlanden aus Takt oder Endreim um die kaum verhüllten Zonen der Menschlichkeit gebreitet. Trotzdem muß ich gestehen, lauthals gelacht zu haben, als ich in einem Dichterforum auf diese Zeilen stieß:
[...]
Zerfliesende Vibration,
pochendes Herz,
Träume weckend.
Liebkosende Buchstaben,
zärtliche Stricheinheit,
hungernde Seele gelabt.
[...]
Da ist nicht allein die nachgerade expressionistische Neuschöpfung 'zerfliesen', die, wenngleich sie vermutlich nur einer orthographischen Flüchtigkeit geschuldet ist, in mir doch eine allerdings niederfrequente Saite zum Schwingen bringt, es ist vor allem die Verwendung des Wortes 'Stricheinheit', die mich an einen liebestollen Heizkostenableser denken läßt, mein Fazit bekräftigend, daß Liebe möglich ist, daß auch Lyrik möglich ist, in den Händen der Gelegenheitsdichter jedoch beides so selten zusammengeht wie Sex und Goldhochzeit.