Schnittplatz
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Am Ende stand er im Hof des ehemaligen Arsenals im Regen, war übrig geblieben, und das Wasser suchte sich langsam seinen Weg in das Herz aus Zahnrädern und rotierenden Prismen. Er war einmal, wie viele seiner Kollegen, unentbehrlich gewesen wenn es darum ging, die gefrorene Zeit augen- und ohrengerecht zu portionieren und aufzubereiten für den Zuschauer, eine Aufschnittmaschine für Bild und Ton. (...darf es etwas mehr sein?)
In den Schubladen aus Blech fanden sich noch zwei Stummel Fettstifte, weiß, das Werkzeug der Cutterin (wenige Männer in diesem ehemaligen Handwerk, die »kleinen Kleberinnen« waren so wichtig wie alle anderen, die am Film mitwirkten) und ein paar Meter Perfoband, Magnetton, mit eben so einer Fettstiftmarkierung, ->|X|<- 13/3 , ein Synchronpunkt, das Bild dazu verloren für immer.
Ein Steenbeck 6-Teller Tisch, 35 mm mit allem Drum und Dran, Ende der fünfziger gebaut, er stand zuletzt im Filmlager wo auch H. ihr Büro hatte und mir stolz den ersten Apple-Macintosh zeigte, auf dem sie die Kataloge für die Festivals und Filmreihen gestaltete, da, wo sich der Efeu durch das Fenster einen Weg zur obersten Schachtel von Resnais' 'Nuit et Bruillard' in den Regalen gesucht hatte und deren Deckel festhielt, was mich gleichzeitig bestürzte und mit Beruhigung erfüllte.
Jetzt war er abgeschrieben und keiner wollte das Trumm von Möbel mehr haben, nach zwei Tagen kam der Schrotthändler und zwei kräftige Gesellen wuchteten das unhandliche Ding von gut 200 Kilo mit Hilfe eines kleinen Krans auf die Laderampe des Lasters, dazu hatte ich keine Tränen in den Augen sondern den Anfang von Sibelius vierter Symphonie im Kopf, passend, bei Alexander Kluge kann man es nachhören, da fällt ebenfalls Schrott zu den Klängen der Celli vom Förderband, und dann war er weg. Heute trägst Du so einen Schnittplatz mit Deinem Laptop herum und brauchst kein Öl, kein Polygon, keinen Fettstift und keine Klebepresse: Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit ...