Kristin
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Gestern rief sie mich an wegen meines Geburtstags. Ob sie eigentlich merkt, daß ich, jedesmal, wenn sie mich anruft, mit den Tränen zu kämpfen habe? Obwohl. Sie wohnt jetzt sehr weit weg. Sie blüht vielleicht auf, und ja: Sie hat ein Recht auf ein besseres Leben. Eines, das ich ihr nie bieten konnte.
Ich beginne, in der Vergangenheit zu leben und hasse mich dafür. Wie ein alter Mensch, der sich an jedes Detail aus seiner Jugend erinnert, hänge ich an jener Zeit, die nie mehr wiederkommen wird. Und jede Straße, jedes Wort, jedes Haus scheint mich daran zu erinnern, wirft in mir eine Welle von Emotionen auf, zu denen ich nie fähig zu sein glaubte.
Das Leben nach ihr fühlt sich an wie ein Loch. Als wäre da nichts. Als flöge alles nur so vorbei wie faselnde Unwichtigkeit. Als wäre alles, alles nur marginal.
Wie kalter Entzug.
Dabei kenne ich die Heilmittel längst. Aber mit jedem Monat, der vergeht, frißt sich diese Wunde dennoch tiefer. Ich bin machtlos. Ich kapituliere vor einem übermächtigen Teil meinerselbst, der so schwarz und so still ist, daß ich ihn weder sehen noch hören kann. Der mir aber den lebensnotwendigen Blick nach vorn zu verschleiern droht.