Kaffeetrinken
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Nein, mir ist Kaffeetrinken noch nicht begegnet und darüber bin ich sehr, sehr froh.
Es klopfte an der Tür. Witwenmacher schob die Dokumente beiseite und lehnte sich zurück.
»Herein, Herr Kaffeetrinken«, sagte er. Es konnte nie schaden, einen Besucher zu beeindrucken.
Ein Gildenbediensteter, der ein Teetablett auf einer Hand balancierte, öffnete die Tür.
»Ah, Carter«, sagte Lord Witwenmacher, ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen. »Stell es dort drüben auf den Tisch, ja?«
»Sehr wohl, Herr«, erwiderte Carter. Er drehte sich um und nickte.
»Ich gehe und hole noch eine Tasse, Herr.«
»Was?«
»Für deinen Gast, Herr.«
»Welchen Gast? Oh, wenn Herr Kaffeetr...«
Er unterbrach sich und drehte den Kopf.
Ein junger Mann saß auf dem Kaminvorleger und spielte mit den Hunden.
»HERR KAFFEETRINKEN!«
»Es heißt Kaf-feh-trin-ken«, erwiderte der junge Mann, und seine Stimme klang dabei ein wenig vorwurfsvoll. »Alle sprechen den Namen falsch aus.«
[...]
Kaffeetrinkens Gesicht war offen und freundlich. Beser gesagt: Es lächelte dauernd. Doch der positive Effekt wurde für die meisten Leute durch den Umstand ruiniert, daß der junge Mann nur ein Auge hatte. Das andere war irgendeinem rätselhafte Zwischenfall zum Opfer gefallen und durch eine Glaskugel ersetzt worden. Worasu sich ein... beunruhigender Effekt ergab. Das andere Auge - jenes Exemplar, das hier als »normal« bezeichnet werden soll - erschien Witwenmacher noch viel seltsamer. Eine so kleine und scharfe Pupille hatte er noch nie zuvor gesehen. Kaffeetrinken schien die Welt durch ein winziges Loch zu beobachten.
Er stellte fest, daß er wieder hinter dem Schreibtisch stand. Auch das war typisch für Kaffeetrinken - man fühlte sich besser, wenn man etwas zwischen ihm und sich wußte.
»Tiere gefallen dir, nicht wahr?« fragte er. »Ich habe hier einen Bericht, in dem es heißt, daß du Sir Georges Hund an die Decke genagelt hast.«
»Er durfte nicht bellen, während ich arbeite.«
»Andere Leute hätten ihn betäubt.«
»Oh.« Ein oder zwei Sekunden lang wirkte Kaffeetrinken betrübt, dann erhellte sich seine Miene wieder. »Aber der Vertrag ist erfüllt, Herr. Daran kann kein Zweifel bestehen, Herr. Ich habe Sir Georges Atem wie vorgesehen mit einem Spiegel überprüft. Darauf weise ich in meinem Bericht ausdrücklich hin.«
»Ja, in der Tat.« Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kopf des Mannes etwa einen Meter neben dem Rest des Körpers gelegen.
[...]
»Sag mir... Wie würdest du diesen Herrn hier inhumieren?«
Ein anderer Assasine hätte gelacht oder »Soll das ein Witz sein?« gefragt. Kaffeetrinken hingegen baugte sich nur ein wenig vor, und in seinem Gesicht zeigte sich eine seltsame Art von Aufmerksamkeit.
[...]
»Du hast nicht viel Zeit gebraucht, um dir einen [Plan] einfallen zu lassen.«
»Nein, Herr.«
»Lieber Himmel...«
»Nun, Herr, du weißt doch, daß uns die Ausbilder ermutigen, hypothetische Probleme durchzudenken...«
»Oh, ja. Eine sehr nützliche Übung...« Witwenmacher unterbrach sich und musterte den jungen Mann verblüfft.
»Soll das heißen, du hast die wirklich Zeit genommen, über die Inhumierung des Schneevaters nachzudenken?« brachte er hervor. »Du hast dich tatsächlich hingesetzt und dir alles genau durch den Kopf gehen lassen? Du warst wirklich bereit, kostbare Freizeit dafür zu opfern?«
»Ja, Herr. Übrigens ging es dabei nicht nur um den Schneevater, sonder auch um die Seelenkuchenente und den Sandmann. Und um Tod.«
Aus »Schweinsgalopp« von Terry Pratchett