Ich-wär-gerne-schwul-weil
Bewertung: 20 Punkt(e)
Das wichtigste zuerst: Natürlich bin ich nicht schwul, und möchte das auch um kein Geld der Welt jemals sein. Die Vorstelllung, Sex mit einem womöglich noch älteren Mann zu haben, bereitet mir ausgesprochenes Unbehagen, um das Wort Abscheu zu vermeiden. Und ich weiß, wovon ich schreibe, denn schließlich bin ich selber älter, das heißt 58 im September dieses Jahres, und mit einer reizenden Frau namens Cordula seit nunmehr 35 Jahren verheiratet. Wir leben in einem kleinen, aber selbstgebauten Haus am Rande Kaiserslauterns. Da ich1997 in den vorgezogenen Ruhestand treten mußte - eine starke Schwerhörigkeit hatte sich zur völligen Taubheit entwickelt - und unsere Kinder Rainer und Sylvia längst aus dem Haus waren, begann ich, meinem Hobby des Computerbastelns zu vertiefen und eignete mir nach und nach die Kenntnis des Internets an, in langen Nachtsitzungen von meiner geliebten Cordi begleitet. Wir beide waren enttäuscht und entsetzt von einer Fülle des dort vorbefindlichen Angebotes, vieles mußte uns auch fremd bleiben, da wir zum Beispiel schon aufgrund meiner Schwerhörigkeit nie sonderlich der Musik angehangen haben, uns vielmehr auf Lektüre von Büchern, mehrheitlich christlicher Ausrichtung beschränkt haben. All der moralische Verfall, der scheinbar die unverzichtbare schmutzige Kehrseite des großen Informations- und Bildungspotentials WWW zu bilden schien und mehr denn je scheint, veranlaßte uns zu dem Entschluß, eine Kunstfigur zu erschaffen, in ihrer Ungeheuerlichkeit und Überzeichnung geeignet, die Fragwürdigkeit und die Folgen des heutigen Werteverfalls darzustellen und gewissermaßen durch sich selbst anzuprangern. Unser Protagonist, beschlossen wir, sollte ein männlicher Homosexueller sein, zudem mit promisken Zügen ausgestattet. So hofften wir, bei Erfolg unseres kleinen Plans, einer zu großen Identifizierung mit dem Ungeheuer auszuschließen. Um ihn dennoch für viele Leser interessant und somit empfänglich für unsere durchaus wertkonservativ gemeinte Botschaft zu machen, eigneten wir uns reine Reihe sonderbarer Spezialkenntnisse an: Mir wäre es unmöglich gewesen, mich mit solchen Themen zu beschäftigen, aber Cordi las sich durch eine Vielzahl von Atrozitäten wie de Sade, Larry Townsend oder diese widerwärtigen Magazine mit behaarten Fleischklopsen mittleren Alter, mir kam jedesmal das Essen hoch, wenn der Postbote wieder einen dieser Umschläge mit dem Airmail–Aufkleber überreichte, ich will nicht wissen, was der so gedacht haben muß, je diskreter solche Sendungen sind, desto mehr verraten sie, ist doch so. Ich dagegen versuchte mich an theoretisch bleiben müssenden Musikkentnissen und arbeitete die sogenannte schöne Literatur durch, wobei ich jedoch bevorzugt Autoren kontroversen Inhalts wählte, am absurdesten schienen mir die Werke Jahnns und dieses Pounds, ein für mich trotz meines relativ guten Computerenglischs völlig unlesbarer verschrobenen Geiferer und Säuseler, von dessen Duktus ich unbeholfen einige Züge in die Blastergestalt des mcnep einzuweben begann. Nach und nach erlangten wir eine gewisse angewiderte Sicherheit im Umgang zu diesen fast schwarzmagischen Themenfeldern gewonnen, und wir beschlossen, auch noch die Drogen ins Spiel zu bringen, jenes hirnverbrennende Gift, das für den Großteil der heutigen Zeitprobleme zumindest mitveerantwortlich zu machen ist. Ich hatte zuerst an Heroin gedacht, aber schließlich beschlossen wir, es bei weichen Drogen sowie Nikotinsucht und dem Alkohol zu belassen, um allzugroße Plakativität zu vermeiden. Er sollte mit einigem Wohlstand ausgestattet sein, da mag auch der schreiberische Wunsch angesichts unserer kleinen Beamtenpension mitgespielt haben. Und dann betrat unser Homunculus, anfangs noch unbeholfen, die Bühne. Mal hetzten wir ihn durch die Welt, stets in Begleitung seines imaginierten Partners Konrad, eines dieser fürchterlichen Bärenmodelle (der Namen war die Idee meiner Frau, die auch einmal Werke eines homosexuellen Comiczeichners gelesen hat, mich verwirren diese kleinen Bildchen und das gezeigte war ohnehin wie so oft abstoßend für mich), mal ließ Cordula ihn finsterste Örtlichkeiten aufsuchen, ich beschrieb Fahrten zu seinen Rauschgifthändlern, ich muß gestehen, anfangs hat uns das Mühe, später dann jedoch manchmal geradezu boshafte Freude bereitet. Doch um die Vergänglichkeit all dieser schnellebigen Reize als Betrachtung beizugesellen, ließen wir in Travestie eines Romans von Wilde, Konrad als sein Spiegelbild altern zu lassen, auf daß auch er selbst bei Fortspinnung des immer absonderlicheren Fadens zu einer reifenden Einsicht gelangen möge. Doch dieses letzte Paradiso zu schreiben sehen wir uns nicht mehr imstande, da ich im vergangenen Dezember zum Kassenwart der örtlichen Gehörlosenliga bestallt worden bin und uns die Doppelbelastung, die so für uns beide resultieren würde nicht weiter durchzuhalten imstande sind. Daher erklären wir das Projekt mcnep für beendet. Was daraus werden mag in diesem bodensatzlosen Sprachuniversum, liegt allein in den Händen unserers Erlösers. Gott segne euch alle.
Karl-Heinz Winterbach und
Frau Cordula Winterbach
Kaiserslautern