Fleischseele
Bewertung: 4 Punkt(e)
Thilo-Sarrazin!
Weil bei mir am Bahnhof das »Kulturmagazin« »Lettre International« im Zeitschriftenwarenhandel auf einem Tisch neben den ganzen seriösen Zeitschriften liegt (Rätselwoche, Super Illu) bin also auch ich dazu gekommen, einmal das Interview unseres einst liebsten Finanzsenators zu lesen, welches diesem bei seinem neuen Arbeitgeber, der Bundesbank, im Nachhinein erheblichen Ärger und eine empfindliche Beschneidung seiner Kompetenzen verursacht hatte.
Wobei wir in dieser Hinsicht, aus einer ganz persönlichen, äh, von also einer ganz persönlichen Position aus, von einer Warte, also sagen müssen, dass die inkriminierten Ausländer-, nun, -feindlichen Äußerungen zwar unappetitlich sein mögen, über diese hinaus der eigentlich schale Beigeschmack aber sich aber eher hinsichtlich einer anderen Sache einstellt. Ich meine hier eine gewisse Geisteshaltung, die ich als ein Amalgam von wirtschaftlich neoliberalem und einem - im Grunde noch aus kaiserreichlicher Tradition schöpfendem - altkonservativem, merito-technokratischem Denken umreißen will. Eine Mischung, welche meines Erachtens nach sehr Deutschland-spezifisch ist. Zumindest scheinen die einschlägigen rhetorischen Geschmacklosigkeiten, auf welche die hiesige politische Diskussion seit einigen Jahren abboniert ist - Stichwort: »Elitediskurs« - in der englisch- und französischsprachigen Presse weitgehend nicht statt zu finden. (Gut, Großbritannien, die U.S.A. und Frankreich sind nun nicht der Rest der Welt. Aber gerade auf die englischsprachige Welt wird in diesem Zusammenhang ja immer gerne verwiesen. »In den USA ist es ganz normal, dass man...« etc etc). In der konkreten Argumentation liest man hier dann bei unserem liebsten Thilo etwa, dass 20 Prozent der Berliner Bevölkerung langsam »auswachsen« sollten (»die können gehen«), sprich also alle, die als Empfänger von Transferleistungen egal welcher Art nicht effektiv etwas zum Bruttosozialprodukt der Stadt beitragen würden, während im übernächsten Satz bereits das Hohelied von zukünftigen hauptstädtischen Kaderschmieden angestimmt wird, des Inhalts, das neben kommenden Staatssekretären an den gesundgeschrumpften Universitäten des Stadtstaates zukünftig elitäre Schraubendreher, Koryphäen des Heizungs- wie Lüftungsbaus und bessere Elektriker ausgebildet werden sollen.
Nun, im Kern sind das volkswirtschaftliche und bildungspoliutische Überlegungen. Über die kann man sich streiten. Worüber man sich aber nicht streiten kann, worüber man im Grunde sich nur erbittern kann, ist der eigentümliche Ton, mit welchem solche sozialpolitischen Traumgesichter und Visionen dargebracht werden. Die Sarrazinischen Ausfälle sind in dieser Hinsicht sicherlich ein etwas exzentrisches Beispiel. Der Mann wird von seinem eigenen pathologischen Narzissmus getrieben.
Das heißt, er ist im Grunde ein Idiot. Man sieht es schon seiner Brille und seinem altväterlichem Schnauzer an, von so einem Menschen kann kein klarer Gedanke kommen. So jemand muss sich nicht erst durch haltloses Gefasel oder anderweitig närrisches Betragen (der Mann hat einen mehrjährigen juristischen Kampf um die Auszahlung einer nach seinem Ermessen ihm zustehenden Abfindung nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand der deutschen Bahn geführt und veräußerte als Finanzsenator schon mal gerne die eine oder andere Liegenschaft aus dem Besitz der Stadt weit unter Wert an ihm befreundete Freunde des Golfspiels...) als beißwütiger Trottel offenbaren. Aber er ist in dieser Hinsicht nur der lauteste Hausierer einer parteiübergreifenden Fraktion, deren erklärtes Ziel es zu sein scheint, ein Modell des »social engineering« herbeizureden, an dessen Ende auf der einen Seite die weitestmögliche Abwrackung der sozialen Sicherheitssysteme der Durchsetzung und Kultivierung einer um Begriffe wie »Elite« und »Leistung« kreisenden Gesellschaftsdeutung auf der anderen entspricht. Gewiss, jede Gesellschaftsordnung ist in kleinerem oder größerem Maße »stratifikatorisch«, der heroinabhängige Neger hatte auch in der alten Bundesrepublik um circa 1975 im Ganzen gesehen ein minderes Sozialprestige als der Bankdirektor der Kreissparkasse Böblingen. Aber was wir in den letzten 10 Jahren erleben ist eine politische rhetorische Kultur, welche außer der abgrundtiefen Geistlosigkeit ihrer Wortführer vor allem eines beweist:
es gibt zu viele Arschlöcher.