Fetischisten
Bewertung: 4 Punkt(e)Ich muß es mir wohl eingestehen: Im Laufe der Jahrzehnte, gereift durch die Erfahrungen und befreit von inneren und äußeren Limitationen habe ich eine libidinöse Triebstruktur ausgebildet, die deutliche Nähe zum Fetischismus aufweist. Nicht ganz untypisch, vermute ich mal, daß ich für mich erst mit 40 endgültig zu dieser für mich sonderlich bestürzlichen Einsicht komme; meine bislang wenigen Abstecher in einschlägige Bars und Clubs präsentierten meist mehrheitlich ein Publikum zwischen 35 und 55. Ein Alter, in dem oft die letzten ersten Bindungen gelöst, der große Umzug oder ein Schnitt gemacht wurde oder einfach das Ticken der biologischen Uhr unmißverständlich nach einem sich selbst leben verlangt. Meine Entwicklung zum nunja, Fetischisten (vielleicht in dem Sinne zu verstehen, daß ja auch gewisse kauzige Millionärsgreise oder Gebrauchtwagenhändler stets an der Hand wechselnder, jedoch immer auffallend großbusiger blonder Krankenschwestern etc. gesehen werden) hat sich ausgesprochen früh, doch seinem Wesen entsprechend niemals unangenehm bemerkbar gemacht: Die Vorliebe für starkgebaute Bartträger bringt zumeist Begegnungen mit sensiblen Streichelbären oder lebenslustigen Kneipengängern mit sich, die dunklen Gelasse von Stock und Knute wie auch die Balance auf der Klinge des Strafrechts ist in der Regel die Sache eines Chubbychasers oder Bärenfreundes nicht. Doch seit K.s Tod hat mich eine Sehnsucht, nein, wozu der Euphemismus, eine Gier angesprungen, der ich mich augenblicklich zwar noch, schon unter Rücksicht auf meinen trauerübermüdeten Zustand und die allgemeinen Gebote der Pietät nur sehr eingeschränkt hinzugeben befähigt bin, doch schon ein erster langer Brief nach der Beisetzung winselte im Grunde pausenlos, platt gesagt, von der Sehnsucht nach dicken Urlaubsbekanntschaften, in einen Sexshop mit angeschlossenem Kino bin ich getigert und ein paar andere Dinge mehr habe ich getan oder gedacht, die mir zeigen, daß die Tür zu einer gänzlich vorurteilsfreien Sexualität für mich bis auf weiteres zugeschlagen ist. Laßt dicke Männer um mich sein, wird künftig ganz cäsarisch meine Devise lauten, verglichen zu all den Spleens, die bloß angedacht in meiner Schublade vergammeln werden, ist das, denke ich mal, eine harmlose und doch brauchbare Arbeitsgrundlage, um fürderhin in dieser Welt stets etwas zu schauen, zugleich jedoch einen machtvollen Filter gegen die zahllosen sonstigen Anbrandungen der Sinne zu haben. Diese ganzen Zwischenschritte über die Magazin– und Videoschiene werde ich etwas abkürzen, denke ich mal. Herrgott noch eins, ich kann mir ja schlecht den Kontoauszug aufs T-Shirt drucken, sonst würden für mich sicher Bären zu Blondinen. Aber mit ein wenig weiterem Refinement werde ich mir vermutlich auch als ewig leptosomer Zweidrittelbehaarter meinen Zutritt zu den Orgienräumen der besseren, und das heißt fetteren Kreise verdienen, ich kann es ja zunächst, falls der Appetit je wiederkommen sollte, mal mit Bauch anfressen versuchen.