Daguerrotypie

Vergangenheit bleibt erhalten wie eine dreidimensionale Daguerrotypie. Phantasten berichten Unterschiedliches, sogar Widersprüchliches. Wirklich Zeitreisende stimmen alle in folgendem überein:
a) Die Vergangenheit ist farblos. Nur Grautöne.
b) Alles erscheint durchsichtig, man kann ins Innere von Gebäuden blicken, Menschen sind durchscheinend - dreidimensionale Röntgenbilder.
c) Taucht der Zeitreisende in die Vergangenheit ein (während der Reise zieht alles Vergangene an ihm vorüber wie ein rasch fließender Fluß hinter einer gläsernen Wand), dann zerfällt die „dreidimensionale Daguerrotypie“ zu feinstem Staub.
d) Während jeder Zeitreise finden sich immer wieder derart zerstörte Zeitabschnitte - dort, wo andere Zeitreisende schon einmal angehalten haben, im vergeblichen Bemühen, in eine vergangene Welt einzutauchen.

Wie die Daguerrotypie mit ihren langen Belichtungszeiten die Modelle zu majestätischem oder delinquentenhaftem Posieren bei unbeweglicher Contenance der Gesichtsmuskel nötigte, erwächst mit der Kürze der Belichtungszeit und der Brennweite heutiger Kameras die Kunst der schockgefrorenen Masken, Stroboskop–Mundwinkel und Puppenaugen. Fleischgewordene Philosophie: Alles fließt - sogar die Gesichtszüge.

Wie oft, bleibt eine Erfindung von Anfang an unübertroffen.
Die Daguerrotypie ist fast so wahr wie ein Spiegelbild. Keine Farben zwar, dafür echtes Silber.