CreativeWriting
Bewertung: 4 Punkt(e)
Du tust mir weh, sagte die Untertasse zur Tasse. Wieso, fragte die Tasse. Du bist so schwer, gab die Untertasse Auskunft. Das liegt an dem vielen Tee in mir, entschuldigte sich die Tasse.
- an dieser Stelle haben wir jetzt ein Problem: der bisher recht flüssige Fortschritt ist unterbrochen, da wir uns nun nach Elementen außerhalb des anfangs defnierten Kontexts umsehen müssen. Schauen wir zu, wie das Problem gelöst wird!
Nun seid ganz ruhig, sagte ich leise lächelnd zu Tasse und Untertasse und nahm den ersten Schluck Tee an diese warmen Nachmittag. Die Sonne blinzelte freundlich herein, ließ die unvermeidlichen Staubkörner über meinem Tisch tanzen und malte mein vollgestopftes Bücherregal mit seinen bunten Buchrücken in den wärmsten Farben.
- ganz bewußt und scharf vollziehen wir also nun den Sprung in einen neuen Bereich: vom Geschirr hin zu seinem anonymen Verwender, wir erweitern also unseren Horizont und wechseln zugleich die Erzählperspektive. Achten Sie auf die fast beiläufigen Versuche, Atmosphäre und Stimmung zu schaffen, ein gewisses Ambiente anzudeuten und den Leser im übertragenen Sinne gemütlich neben uns Platz nehmen zu lassen.
Ich putzte noch einmal meine Lesebrille, setzte sie umständlich wie immer auf und faltete den Brief auseinander. Lange brauchte ich, bis die vielen kleinen Buchstaben sich zu Worten, diese zu Sätzen und Absätzen und der gesamte Brief sich zu einer vollständigen Nachricht geformt hatten. Noch länger, bis ich endlich begriff, was darin stand. Und rasch zur Tasse griff, um meine Gefühle für den Augenblick beherrschen zu können.
- beachten Sie, wie hier behutsam Spannung aufgebaut wird: was steht wohl in dem Brief? Und wie geschickt das ursprüngliche Thema der Teetasse wieder aufgenommen wird.
Wieder hatten sich die Preise des fair gehandelten Tees erhöht. Und wieder würde so gut wie nichts davon den Erzeugern zugute kommen. Alles aufgefressen von den gestiegenen Rohölpreisen, womit letztendlich mein gutes Geld ja doch nur in den unersättlichen Mägen dieser verhaßten Konzerne landen würde. Ich donnerte meine Fast auf den Tisch, daß Tasse und Teller schmerzhaft schrill erklangen. So konnte es nicht weiter gehen!
- auch hier wieder ein Spannungsbogen, der kurz unser Anfangsmotiv streift und sich dann fast, aber auch nur fast entlädt. Der letzte, durch das Ausrufezeichen noch besonders hervorgehobene Satz steht gewissermaßen „schreiend“ da und harrt der Auflösung.
Ich würde wohl doch wieder zum Kaffeetrinken zurück kehren müssen. Trotz des hübschen Teeservices, trotz meiner besten Absichten. Die Kaffeepreise waren seit Monaten stabil. So gehörte es sich auch!
- noch in der Pointe erscheint erneut das Geschirr-Motiv, welches diesen ganzen Text durchzieht wie eine unterliegende Melodie. Und endlich die Auflösung, die als Beruhigung, als Rückehr ausgeführt wird und uns entspannt und zufrieden aus dem Text entläßt.